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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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bleiben, ihnen so etwas wie Sicherheit zu geben und die Anführerin zu sein, die sie sein sollte.
    »Edle Dame Winters?« Eine Stimme erhob sich im Lärm der Soldaten, die herumeilten, Zelte zusammenrollten und Satteltaschen packten.
    Sie wandte sich um und sah einen vertrauten Zigeunerspäher näher kommen. »Ja?«
    »Unsere Spähereinheit aus dem Norden wird gerade von der edlen Dame Tam empfangen; sie haben einen Eurer Männer mitgebracht. « Sein Gesicht war ausdruckslos, und in seinen Augen stand ein Geheimnis, das ihr den Magen flau werden ließ. »Sie erbittet Eure Anwesenheit.« Aber sein Tonfall sprach nicht von Erbitten – er sprach von Verlangen.
    Winters drehte sich um und ließ sich von dem jungen Späher zu dem Zelt führen, in dem sie kürzlich so viel Zeit verbracht hatte. Ihre Stunden mit den Frauen dort und dem kleinen Jakob waren ihr einziger Lichtblick in diesen dunklen Zeiten. Da Neb aus ihren Träumen verschwunden war, gab es dort nur noch Blut
und Klingen und hellrote Narben auf bleichen Brustkörben. Aber der kleine Jakob leuchtete in dieser Dunkelheit trotz seiner Krankheit hell wie der Vollmond. Und es war ein seltsamer Gegensatz, Jin Li Tam erst mit ihm und dann mit ihren Soldaten zu sehen – ein stiller Lobgesang, der in einem größeren Lied verborgen lag.
    Sie blieb dem Späher auf den Fersen und folgte ihm zu dem Zelt. Dann schlüpfte sie hinein, während er die Klappe für sie aufhielt. Eine ernste Gesellschaft erwartete sie, und inmitten des Raumes saß der zitternde Seamus, seine Wangen weiß von Tränen und sein Gesicht blau und zerschlagen. Seine Kleider hingen in Fetzen von seinem Körper. Als er sie bemerkte, wandte er sich ab, und sie stürzte zu ihm, um sich hinzuknien und ihn bei der Hand zu nehmen. »Seamus, was ist mit dir passiert?«
    Jin Li Tam saß an der Seite, von Lynnae und der Flussfrau war nichts zu sehen, nur eine kleine Gruppe von zerlumpten und schmutzigen Spähern kauerte sich neben dem Ofen zusammen.
    Seamus biss sich auf die Lippen. »Die Zwölf sind nicht mehr«, sagte er. »Ich bin alles, was übrig ist.«
    Winters schnappte nach Luft, und ihr Magen verkrampfte sich plötzlich. »Wie ist das möglich? Erst heute Morgen habe ich Nachricht von dir erhalten, dass du nach Sippschaftsruh weiterziehst, um dort nach dem Zeichen zu suchen.«
    Jin Li Tams Stimme hinter ihr war ruhig, aber fest. »Sagt Königin Winteria, was Ihr mir erzählt habt, Hauptmann.«
    »Er kann keine Nachricht geschickt haben«, sagte der Offizier. »Wir fanden ein Feldlager und holten ihn dort aus einem Käfig. Ich habe sechs Männer bei seiner Befreiung verloren, aber ich habe ihn vom Sommerpalast wiedererkannt und konnte ihn nicht dort lassen.« Winters blickte zu ihm auf und sah die Härte in seinem Blick. »Die Dinge im Sumpfland sind aus den Fugen geraten.«
    Winters spürte die Hitze in ihrem Gesicht, während sie die
Augenbrauen zusammenzog. »Aber was ist mit der Armee, Seamus? Du bist mit der Armee geritten … was ist passiert?«
    »Gebrochen«, sagte er. »Inzwischen verstreut oder tot, jene, die sich nicht ergeben haben und das Zeichen annahmen.«
    Bei diesen Neuigkeiten blinzelte sie. Die Armee der Sümpfler wurde überall in den Benannten Landen gefürchtet. Sie ergaben sich nicht, ganz gewiss nicht vor ihren eigenen Leuten. Wie war das möglich? Plötzlich wurden ihr die Worte bewusst. Sie stellte die Frage, obwohl sie wusste, was er gemeint hatte, und es ließ sie frösteln. »Das Zeichen annahmen?«
    Schluchzend zog er sein Hemd auf und zeigte ihr die frischen Schnitte. »Oh, meine Königin«, sagte Seamus, »ich habe Euch und das Andenken Eures Vaters verraten.«
    Der Anblick des gebrochenen alten Mannes und seiner Tränen überwältigte sie, und sie weinte beinahe. Sie zwang ihre Unterlippe dazu, nicht zu beben. »Wie ist das geschehen, Seamus?«
    Er ließ den Kopf hängen, und als er sprach, stockte seine Stimme. »Wir haben die Armee aufgeteilt, um die Dörfer zu durchsuchen. Jeder der Zwölf hat ein Kontingent übernommen. Ich habe meine Leute östlich nach Valkrysruh geführt, und wir fanden einen verborgenen Schrein in den Bergen. Gaerrik und sein Kontingent haben einen weiteren in der Nähe von Aensils Hoffnung aufgespürt. Dann haben wir angefangen, unser Volk auf das Zeichen zu prüfen.« Er blickte auf, seine Augen gerötet. »Nicht alle empfangen es mit dem Messer. Manche malen es nur auf. Besonders jene, die einen Posten innehaben, der erfordert, dass ihre

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