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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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sie schob ihn weg. Es konnte einfach nicht sein. Dennoch ließ er sich nicht verdrängen: Konnte diese Y’Ziritische Bewegung in ihrem Volk etwas mit dem Fall von Windwir zu tun haben?
    »Ich werde nach Windwir gehen«, sagte sie schließlich mit leiser Stimme. »Ich werde den Rat der Bundschaft bitten, mein Ersuchen anzuhören und meinem Volk zu helfen.«
    Jin Li Tam nickte. »Eine weise Entscheidung.« Ihre Hände bewegten sich. Ich kenne diese Worte aus einem Traum, und der alte Ezra hat sie vor mir rezitiert, als wir hier ankamen. Er sagte noch mehr. Bleibt da, bis die anderen gegangen sind, und wir können darüber sprechen.
    Winters neigte den Kopf. »Ja, edle Dame.«
    Der alte Mann schniefte, und Winters wandte ihm wieder ihre Aufmerksamkeit zu. »Du wirst mich begleiten, Seamus, und berichten, was du gesehen hast.«
    Als er nicht antwortete, legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Sie spürte, wie er unter ihrer Berührung erbebte. »Schau mich an«, sagte sie.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich ertrage es nicht, Königin.«
    Da kniete sie sich hin, und mit ihren Händen hob sie sanft sein Gesicht zu ihrem empor. Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die schmutzige Stirn. »Manchmal gibt es keinen guten Weg, Seamus, und wir machen das Beste aus dem Weg, den wir wählen. Manchmal treffen andere die Wahl für uns, lassen uns aber glauben, wir hätten selbst so entschieden.«
    Seamus erzitterte unter seinen Schluchzern, und Winters schloss den dürren alten Mann in die Arme und zog sein Gesicht an ihre Brust, als wäre er ein verletztes Kind. Vielleicht sind wir alle verletzte Kinder , dachte sie, ehe sie fortfuhr. »Dieses Zeichen
ist nur in deinem Fleisch, es ist nicht auf deiner Seele. Und ich brauche dich lebend für das, was kommt, deshalb bin ich dankbar für die Wahl, die du getroffen hast.«
    Sie blickte sich nicht im Raum um, um zu sehen, wie ihre Worte wirkten, und das brauchte sie auch nicht. Die Stille, die in diesem Augenblick herrschte, sprach Bände, mehr als das Buch der Träumenden Könige es je vermocht hätte.
    Alle Blicke ruhten auf ihr; Winters spürte, wie sie in sie drangen, aber es kümmerte sie nicht. Sie drückte den alten Mann an sich, während er weinte, und flüsterte ihm tröstende Worte ins Ohr. Und er klammerte sich an sie, als wäre sie seine Mutter, bat sie um Vergebung und schluchzte seine Schuldgefühle in ihre Brust.
    Schon arbeitete ihr Verstand an den Worten, die sie vor den Führern der Benannten Lande sagen würde, um für ihr Volk zu bitten. Schon ersann sie Strategien und Fragen, um diese neueste Biegung des whymerischen Irrgartens zu meistern, und reihte sie nach ihrer Wichtigkeit geordnet auf, während sie die ganze Zeit über den alten Mann in ihren Armen tröstete.
    In diesem Augenblick merkte Winters, wie sich eine unerklärliche Ruhe in ihr ausbreitete, und gleichzeitig merkte sie, dass sie nicht mehr den Drang verspürte zu weinen. Stattdessen widmete sie ihre ganze Aufmerksamkeit der Aufgabe, Seamus in seiner Scham zu trösten und zu beruhigen, während ihr eigener Kummer auf später, wenn sie mehr Zeit für sich hatte, warten konnte.
    Vielleicht, dachte sie, sind Mütter und Königinnen doch nicht so verschieden.
    Petronus
    Die Luft im Delta wurde wärmer, und Petronus machte es sich zur Gewohnheit, am Nachmittag durch Erlunds Meditationsgarten zu
spazieren. Obwohl im Augenblick nichts blühte, konnte er sich die Farben vor seinem inneren Auge ausmalen, und sie beruhigten ihn. Einst waren die Entrolusier den Lehren des T’Erys Whym gefolgt, als sie gerade in Mode gewesen waren, und irgendein vergessener Aufseher hatte sogar einen whymerischen Irrgarten in Auftrag gegeben, der angesät und mit den verschiedenen Kennzeichen dieser dunklen Meditation ausgestattet worden war.
    Nachdem er stundenlang mit Esarov in seinem Zimmer über Büchern mit dem Gesetz der Bundschaft gebrütet hatte, tat es gut, wieder unter freiem Himmel zu sein, und er bekam davon Heimweh nach seiner Hütte und seinem Fischerboot in Caldusbucht.
    Dreißig Jahre lang hatte er dort ein friedliches Leben geführt, bis zu dem Tag von Windwirs Scheiterhaufen. Ich hätte zu Hause bleiben sollen. Aber noch während er das dachte, wurde ihm bewusst, dass nachträgliches Hinterfragen und Selbstzweifel eine Täuschung des Verstandes waren. Jeder vergangene Pfad, so lehrten die Franziner, gestaltet unseren Weg in der Gegenwart. Würde man nur ein Stück dieses langen und gewundenen Marsches

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