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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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sondern führten sie mit mechanischer Präzision.
    Er spürte eine sanfte Hand auf der Schulter und hielt den Atem an. »Ich bin zurück, Vlad«, flüsterte Ria.
    Er sagte nichts, wand sich aber auf der Bank, bis er ihre Füße und den unteren Teil ihrer Unterschenkel sehen konnte, die unter ihrer dünnen Robe hervorlugten.
    Er hörte, wie sich ihre Finger über die Messersammlung bewegten, während sie eines aussuchte. »Dies wird unsere letzte gemeinsame Nacht sein«, verkündete sie mit einer leisen, rauen Stimme. »Heute Nacht endet all der Schmerz und das Leiden für dich, und deine Sippschaft mit dem Haus Y’Zir wird geheilt sein. Bist du bereit, das Zeichen deines letzten Meisters zu empfangen? «
    Er versuchte zu sprechen, stellte aber fest, dass seine Worte stockten. Dennoch wusste er, was er hatte sagen wollen – bei den Göttern –, und er wusste, dass es die Antwort war, auf die sie gehofft hatte. Ja. Alles. Wenn ihr nur aufhört. Verschont das Wenige, das von meiner Familie noch übrig ist, und verfahrt mit mir, wie es euch beliebt.
    Aber er brachte nur unverständliches Gemurmel heraus.
    Dann drangen gedämpfte Explosionen an sein Ohr, gefolgt von einem schrillen Pfiff zur dritten Warnstufe. Er wand sich, um zu sehen, wie sie das Messer fallen ließ und mit zusammengekniffenen Augen hektisch aufblickte. Plötzlich zuckte Ria zusammen und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber keine Worte kamen heraus. Eine leise und magifizierte Stimme flüsterte heiser, und Vlad Li Tam erkannte sie, konnte sie aber nicht einordnen.

    »Bindet ihn los«, sagte die Stimme. »Dieses finstere Werk endet heute Nacht.«
    Töte sie! , brüllte er den unsichtbaren Eindringling in Gedanken an. Sprich nicht, fordere nichts, stoß ihr einfach ein Messer in die Rippen und drehe es mit all deiner Kraft herum. Aber noch während er sich dies wünschte, wünschte er sich auch, dass sie entkommen möge, dass sie wieder Hand an ihn legen und ihm unter der Klinge die kunstvolle Lehre von Liebe und Sippschaft erteilen würde.
    Vlad Li Tam sah, wie sie gegen ihren Häscher ankämpfte und ein Blutstropfen aus ihrem dunkel bemalten Hals quoll. »Bindet ihn sofort los, oder ich füge Euer Blut dem übrigen hinzu, das Ihr an diesem Ort vergossen habt.«
    Von unten drangen Kampfgeräusche herauf. Der Angreifer nahm die Hand von ihrem Mund. »Befreit ihn«, sagte sie zu den Wachen.
    Vlad Li Tam spürte, wie der Tisch in eine aufrechte Position schwenkte und Hände sich an den Riemen und Verschlüssen zu schaffen machten. Als er von der Bank fiel, schlug er hart auf den Marmorboden und keuchte.
    Die Stimme sprach wieder. »Könnt Ihr stehen, Tam?«
    Und plötzlich erkannte er die Stimme und traute seinen Ohren kaum. Er fand den Namen und krächzte ihn heraus: »Rudolfo?«
    Das Mädchen schnappte vor Überraschung nach Luft. »Rudolfo, Hirte des Lichts? Vater von Jakob, dem Kind der Verheißung? «
    »Ich bin Rudolfo, ja«, sagte Rudolfo mit leiser und verbitterter Stimme.
    Sie rief den anderen einen lauten Befehl zu: »Tut ihm nichts. Wir kennen den Preis dafür.«
    Vlad Li Tam sammelte auf dem Boden all seine Kraft und stemmte sich mit zitternden Armen hoch. Er erhob sich ein Stück weit, dann rutschte er aus und fiel mit dem Gesicht in sein
eigenes Blut. Stöhnend versuchte er es noch einmal und kroch auf allen vieren aus dem klebrigen Schlamassel am Fuß der Folterbank.
    »Was für einen Preis?«, hörte er Rudolfo fragen.
    Aber Ria antwortete nicht. »Wie sieht er aus?«, fragte sie stattdessen. »Das Kind der Verheißung? Ist er rosarot? Strahlt er vor Leben und Gesundheit? Mit den blauen Augen seiner Mutter und dem dunklen Haar seines Vaters? Lacht er? Oder ist er grau und fleckig und schnappt wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft, um am Leben zu bleiben?«
    Vlad Li Tam hörte das Knurren in Rudolfos Stimme. »Was weißt du von meinem Sohn, Sumpfmädchen?«
    Sie lachte, und es war wie Musik. »Ihr seid gekommen, um nach seiner Rettung zu suchen, aber auf dem Pfad, den Ihr gewählt habt, findet Ihr sie nicht.«
    Rudolfo beachtete sie inzwischen nicht mehr. »Könnt Ihr stehen? «, fragte er noch einmal.
    Vlad Li Tam sammelte abermals seine Kraft und stemmte sich hoch, dabei drehte er sich, um sitzen zu können. Das Mädchen stand unnatürlich überstreckt da, ihre Robe geöffnet, während Rudolfo sie von hinten festhielt. Die Wachen standen daneben, die Hände an den Messern, und ihre Blicke wanderten von dem Mädchen über Vlad

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