Lobgesang
schwer dafür bezahlen müssen.
Rudolfo hörte nichts hinter der Tür und öffnete sie. Die Küche wurde von dem Feuer eines offenen Ofens schwach beleuchtet. Er trat schnell näher und zog die zusammengeknüllten Fetzen aus seiner Tasche. Mit einem eisernen Schürhaken fachte er die Glut an und warf das Lumpenbündel darauf. Dann schloss er den Ofen und trat wieder auf den Gang hinaus.
Vorsichtig schlich sich Rudolfo durch den zweiten Stock, bis er bei dem Wachposten angelangte, der sich zwischen ihm und dem dritten Stock befand. An diesem Posten hatten seine Späher während ihrer Erkundungen mindestens zwei Männer erfasst, und noch keiner hatte versucht, an ihnen vorbeizuschlüpfen – Rudolfo würde der Erste sein. Aber auch nachdem er sie etwa zehn Minuten lang beobachtet hatte, erschloss sich ihm kein Weg, wie er ohne Gewaltanwendung an ihnen vorbeikommen sollte; und magifiziert oder nicht, es stand mit zwei gegen einen nicht günstig für ihn. Genauso ungünstig war es, das Überraschungsmoment früher als nötig aufzugeben.
Rudolfo suchte weiter die Gänge ab und fand eine Tür, die zu Gästegemächern führte. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, dass Gäste an den dunklen Riten teilnehmen würden, die hier stattfanden, aber dennoch waren die Räume da. Er knackte das Schloss und fand sich in einem üppig ausgestatteten Zimmer wieder.
Er wühlte in seinem Gedächtnis nach den Erinnerungen an diese Seite des Bauwerks. Hier gab es Balkone, und wenn sie nahe genug beieinanderlagen, sollte es ihm möglich sein, in den dritten Stock zu klettern. Rudolfo schlich durch den mit dicken Teppichen ausgelegten Raum und öffnete die Tür, die zu den Schlafgemächern führte. An der gegenüberliegenden Wand bot
eine Glastür einen Blick auf den Hafen. Irgendwo dort draußen, unter einem Schleier aus Wolken, machten sich Rafe Merrique und seine Männer daran, die Schiffe zu sichern und die Schoner außer Gefecht zu setzen.
Rudolfo öffnete die Tür und spürte, wie der warme Nachtwind über ihn strich. Nachdem er auf den Balkon getreten war, zog er die Tür hinter sich zu und blickte nach oben. Die Balkone waren von Stockwerk zu Stockwerk seitlich versetzt, und ohne die erweiterte Sinneswahrnehmung und die größere Kraft, die ihm die Pulver verliehen, hätte er eine solche Kletterpartie nicht in Betracht gezogen. Wenn nur diese verdammten Kopfschmerzen nicht wären, die ihn verzehrten.
Er stützte sich mit der Hand an der Außenwand des Gebäudes ab und zog sich auf das Geländer. Er versuchte, nicht nach unten zu schauen, und schätzte noch einmal die Entfernung zwischen sich und dem darüber liegenden Balkon ab. Die Augen fest auf den Handgriff über sich gerichtet, überließ sich Rudolfo den Magifizienten, die seine Stärke und Geschicklichkeit vergrößerten, und stellte sich vor, die Mauer wäre eine uralte Kiefer in den Wäldern seiner Kindheit. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, während er langsam nach oben kletterte und seine Füße und Hände unterwegs Halt suchten.
Als er sich endlich über den Rand des nächsten Balkons zog, war er außer Atem, achtete aber darauf, nur durch die Nase zu atmen. Er kauerte sich in eine Ecke und wartete, bis der Dorn in seinem Kopf davon abließ, sich noch tiefer hineinzubohren.
Während er wartete, drangen Stimmen an sein Ohr, und er legte den Kopf schief. Die Tür des Balkons oberhalb stand einen Spalt weit offen, und er nahm die Geräusche einer gedämpften Unterhaltung wahr, die zusammen mit den Vorhängen, die wie Banner in der Brise wehten, in die Nachtluft hinaustrieben.
Er hatte vorgehabt, den dritten Stock auszuspähen und nachzusehen, ob es einen anderen Weg an den Wachen vorbei gab,
aber als er die leisen Stimmen auffing, übermannte ihn die Neugier. Was immer hier geschah, er bezweifelte nicht, dass es irgendwie mit der Verheerung von Windwir und dem Angriff auf das Ehrenfest seines Stammhalters zusammenhing. Mit dem Fall von Windwir war die Blutmagie in die Neue Welt zurückgekehrt, und es konnte kein Zufall sein, dass nun eine der mächtigsten Familien der Benannten Lande unter dem Messer lag. Dieses Bauwerk war zum Blutlösen geschaffen, von der Beobachtungsterrasse bis hin zu dem Stockwerk mit der Schneidekammer, vom Rohrleitungssystem bis hin zu der Destillerie, die irgendwo in den tieferen Gewölben verborgen sein musste.
Natürlich hatte Rudolfo diese Geschichten als Kind gelesen. Er war mit den Pakt-Thermen und den dunklen Geistern der
Weitere Kostenlose Bücher