Lobgesang
Einbindung neuer Befehle hat zu
einem logischen Konflikt in meiner Befehlsstruktur geführt. Sanctorum Lux darf nicht beschützt werden. Es muss unbedingt zu gegebener Zeit zerstört werden, um das Licht zu retten, damit es jenen verwehrt wird, die es für dunkle Zwecke missbrauchen würden. Der Traum ist in diesem Punkt eindeutig.«
Neb spürte, wie Unruhe in ihm aufkam, und blickte in den dunklen Eingang. Er hörte nichts, roch nichts und zwang sich dazu, einen Schritt nach vorne zu machen. »Ich sehe nichts.«
Der Mechoservitor ging zur gegenüberliegenden Wand des Raumes, und im trüben Glühen seiner Bernsteinaugen sah Neb, wie er eine Blende öffnete. »Die Lichter sind nicht funktionstüchtig. «
Neb schlüpfte nach draußen, um eine behelfsmäßige Fackel zu machen. Als er wiederkam, war der Mechoservitor verschwunden. In der gegenüberliegenden Wand stand eine kleine Tür offen, und als Neb hindurchtrat, wurde er von einem heftigen Schwindel erfasst: Die Tür führte in einen riesigen, offenen Raum, der sich gähnend unter ihm öffnete. Eine schmale Metalltreppe führte hinab in die Tiefe. Von irgendwo weiter unten hörte Neb das Geräusch von Metall auf Metall, während der Mechoservitor hinabstieg.
Der Geruch dieses Ortes war unverwechselbar – der Geruch von Rauch und Asche und verbranntem Papier. Neb spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.
Sanctorum Lux darf nicht beschützt werden.
Als er am Boden ankam, erwartete ihn der Mechoservitor. »Ich habe mich geirrt«, sagte der Metallmann. »Du bist doch nicht vor deiner Zeit hier, Nebios Heimatsucher.«
Am Fuße der Stufen erstreckte sich ein riesiger unterirdischer Raum weit über den flackernden Lichtkreis der Fackel hinaus. Der Gestank von abgestandenem Rauch erfüllte die Luft, und Neb wusste, dass dies lediglich der erste von vielen Räumen war, und genauso sicher wusste er auch, dass er in allen das Gleiche
vorfinden würde: Diese Räume waren die Urnen, in denen die Asche des Lichts aufbewahrt wurde.
Neb ließ sich auf den rußbedeckten Steinboden sinken. War es möglich, dass derselbe Feind, der Windwir vernichtet hatte, auch diesen Ort zerstört hatte? Nein , erkannte er. Die rätselhaften Worte des Mechoservitors arbeiteten immer noch in seinem Kopf. »Dann war sie hier? Die Bibliothek ist hier gewesen?«
»Jedes einzelne Buch«, sagte der Metallmann. »Kopiert und bewacht von meinen Brüdern und mir.«
Neb schnappte nach Luft, dann atmete er langsam aus. Er spürte, wie etwas sein Herz zusammenpresste, spürte, wie er Kopfschmerzen bekam und die Bilder des Feuers, das vom Himmel gefallen war, und der Säule aus schwarzem Rauch, die die Sonne ausgelöscht hatte, wieder in ihm aufstiegen. »Und auf Befehl des Traumes hin wurde sie vernichtet?«
Der Mechoservitor beantwortete die Frage nicht gleich. Stattdessen begab er sich zum Mittelpunkt des Raumes und ließ sich dort zu Boden sinken. Als er sprach, war seine dünne, pfeifende Stimme gepeinigt von Trauer. »Geopfert für den Traum«, sagte er, »genauso wie ich.«
Nebs Blick verengte sich. »Wie bist du geopfert worden?«
Der Kummer in seiner Stimme war kaum mehr zu ertragen. »Ich werde nicht an der Großen Erwiderung teilnehmen. Meine lange Abwesenheit und die Manipulationen an meinen Registern schließen mich davon aus.« Er wandte sich zu Neb, und aus seinen Juwelenaugen sickerten rostige Tränen. »Ich trauere nicht um meinetwillen, Nebios Heimatsucher, denn es ist mir eine Freude, den Traum wieder zu sich selbst zurückzuführen. Und ich trauere nicht, weil mich meine Brüder zurückgelassen haben – ich hätte dasselbe getan. Die Erwiderung muss erfolgen. Ich trauere, weil so viel vom Licht verlorenging, ehe wir den Traum vernommen haben. Ehe er uns lehrte, dass Sanctorum Lux so viel mehr ist als die Bücher und Schriftrollen des vergangenen
Zeitalters, eine weitaus höhere Berufung als das, wofür uns unsere Schöpfer vorgesehen hatten.«
Neb hörte die rätselhaften Worte und versuchte sie zu ergründen, so gut er es vermochte. »Wo sind die anderen hingegangen?«
»Sie sind dem Traum weiter gefolgt. Auch du wirst ihm folgen, auf deinem Pfad zur Heimat.« Der Mechoservitor öffnete den Hohlraum in seiner Brust und griff mit langen Metallfingern hinein. »In meinen Gedächtnisregistern wirst du eine vollständige Bestandsliste von allem finden, was meine Brüder hier zerstört hat.«
Dann fing der Metallmann an, Metallregister und Drähte aus seinem Inneren zu ziehen.
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