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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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Sethbert hatte viel Aufhebens darum gemacht, er würde über Beweise verfügen, die die Pläne der Androfranziner aufzeigten, die Benannten Lande zu unterwerfen. Aber als man den Aufseher in der Nacht seiner Festnahme aufgefordert hatte, diese Beweise vorzulegen, hatte er es nicht gekonnt. Und daraufhin war der Aufseher geflohen.
    Nein, soweit es Lysias betraf, hatte Sethbert nur bekommen, was er verdient hatte, und der prüfende Blick lag nun auf dem falschen Mann. Wenn es hier einen Schurken neben Sethbert gab, dann war es Vlad Li Tam und nicht Petronus.
    Lysias rieb sich die Augen und versuchte noch einmal, die Berichte vor sich zu lesen. Doch all das nagte nun an ihm, und er spürte, wie sich etwas in sein Innerstes fraß und verlangte, dass er ihm Aufmerksamkeit zollte.
    Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun. Lysias erinnerte sich an die Worte seines Vaters vor langer Zeit. Es waren genau die Worte, die auch seine Tochter Lynnae vorgebracht hatte, als sie sich mit den Demokraten und ihren gefährlichen Philosophien einließ.
    Mit einem Pfiff nach seinem Vogelpfleger zog er ein Stück Pergament heraus und begann, eine dreifach verschlüsselte Nachricht zu schreiben. Nachdem der Vogelpfleger gekommen und wieder gegangen war, mit der Anweisung, die Nachricht unter
dem weißen Garn der Bundschaft zu verschicken, schob Lysias die Berichte zur Seite, zog ein frisches Blatt hervor und fing an, Aufzeichnungen anzufertigen.
    Innerhalb einer Stunde hatte er jede Erinnerung an jene Nacht in Pylos und außerdem jene weitere Nacht in Resoluts Gästequartieren aufgeschrieben. Als Letztes schrieb er einen Bericht über die missglückte Festnahme Sethberts nieder.
    Nachdem er diese jüngeren Erinnerungen festgehalten hatte, ging er weiter zurück, in die Tage vor dem Krieg und kurz vor dem Fall von Windwir.
    Ein Teil von ihm wusste, dass es keine Rolle spielte und es gar nicht im Bereich des Möglichen lag, dass Petronus’ Bundschaft den alten Papst für schuldig erklären würde. Er war ein begnadeter Redner, und die Gräber von Windwir boten ihm eine ideale Bühne für dieses neuerliche Drama. Außerdem war er ein starker König und womöglich der Papst mit der größten angeborenen Begabung für die Staatskunst.
    Lysias tat dies alles nicht, um Petronus zu retten. Daran hegte er keinen Zweifel.
    Aber er hoffte, dass es vielleicht einen Teil seiner selbst retten würde.
    Als die Glocken die Wiederaufnahme der Ratsverfahren ankündigten, erhob sich Lysias, griff nach seinem Schwert und seinem Helm und machte sich zu dem palastartigen Zelt auf, sein Bündel mit Aufzeichnungen unter den Umhang gesteckt.
    Winters
    Winters saß abseits des Rates und beobachtete, wie Jin Li Tam an einem weiteren Tag der Fragen und Unterredungen den Vorsitz
führte. Es war ihr schwergefallen, diese seltsamen Angelegenheiten der Staatskunst der Neuen Welt aufmerksam zu verfolgen. Das Sumpfvolk hatte seine eigenen Vorstellungen von einem Rat – mit weniger Getöse und Angeberei, und ganz bestimmt mit weniger Prunk. Sie trafen ihre Entscheidungen zum Großteil in Übereinstimmung, und als Königin war ihre vorrangige Rolle die der Träumerin oder, während des Krieges, der Predigerin gewesen. Und weil das Sumpfvolk abgeschieden und ohne Bundschaft geblieben war, zumindest bis zu ihrem geheimen und einseitigen Bündnis mit den Neun Wäldern, hatte sie nie die Gelegenheit gehabt, die Anwendung dieses komplexen Systems von Regeln und Riten während eines formellen Treffens zu erleben. Zwar hatte Tertius sie in diesen Dingen unterrichtet, aber selbst der ehemalige Androfranziner hatte Teile davon unterschlagen, weil er sie für unwichtig und unnötig für die Aufgabe gehalten hatte, auf die er sie vorbereitete.
    Daher saß sie nun da und versuchte, still zu sein und zuzuhören. Sie sagte nichts und beobachtete. Und mehr als alles andere versuchte sie, sich keine Sorgen um ihr Volk zu machen; ein unmögliches Unterfangen. Es hatte keine weiteren Nachrichten gegeben, seit die Zigeunerspäher ihr Seamus gebracht hatten, und jede Meile des Rittes nach Windwir – fort von ihren erschütterten Stämmen – hatte etwas in ihr abgetötet. Sogar der Schmerz der Trennung von Neb wurde davon in den Schatten gestellt, obwohl Winters an jenes erste Treffen gedacht hatte, jenen ersten Kuss, jene erschlichenen Spaziergänge entlang der nördlichen Front, als sie auf die Ebene hinausgetrabt und auf die wachsende Zeltstadt zugeritten waren. Aber diese Erinnerungen

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