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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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Er zerrte daran, als wären sie Unkraut in einem Garten, und während er zog, leuchteten seine Augen auf und wurden wieder dunkler, und seine Mundklappe öffnete und schloss sich.
    Neb machte einen Schritt auf ihn zu, weil er das Gefühl hatte, etwas tun zu müssen, um irgendwie zu verhindern, was sich vor seinen Augen abspielte. »Wie folge ich dem Traum?«
    Der Mechoservitor, der in der Asche der ausgebrannten Bibliothek saß, blickte auf. »Die letzte Ziffer ist der erste Tag der Ankunft des Heimatsuchers. Den Rest wirst du in dem Lied erkennen. «
    Noch immer zupften seine Hände an den Drähten und Registern, bis er sie alle herausgerissen hatte. Neb merkte, dass er weinte, verstand aber nicht, weshalb.
    Der Metallmann kippte zur Seite, und seine Hände wurden bereits langsamer, während er weiter an seinen Eingeweiden zerrte. Auch die Blasebälge tuckerten inzwischen nur noch leise, und das Licht in seinen Augen war nur noch ein blasses Schimmern, tief in den Glasjuwelen vergraben. Ein feiner Klang entwich aus der Mundklappe, und Neb beugte sich näher, um ihn besser hören zu können. Der Klang schwoll an, als der Metallmann ihn mit dem letzten Atemzug seiner künstlichen Lunge verstärkte.

    Der Lobgesang war unverwechselbar, flüsternd trieb er hinaus in das riesige Grab verbrannter Bücher und hallte mit einem Eigenleben nach. Dann zog der Mechoservitor mit einem letzten zerrenden Ruck ein letztes Register heraus und schob es in Nebs Richtung.
    Als die dünnen Kupferdrähte sich lösten, erstarb die Musik.
    Neb blickte auf den Mechoservitor, der den Freitod gewählt hatte, während die letzten Fetzen des Liedes durch den Raum hallten, und er spürte, wie sich etwas in ihm verschob und einrastete – ein Rufelloschloss an seiner Seele, das etwas freigab, von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass es in ihm war. Die letzte Ziffer ist der erste Tag der Ankunft des Heimatsuchers.
    Er war hierhergekommen, um nach Sanctorum Lux zu suchen, und hatte etwas anderes gefunden, das ihn auf eine neuerliche Suche schickte. Er wusste, dass er hierbleiben und durch die ausgebrannten Überreste der Großen Bibliothek streifen könnte, aber diese Aufgabe würde Neb anderen überlassen. Sie würden hier nichts finden.
    Stattdessen würde er zu der verschlossenen Quelle zurückkehren und sein Ohr darauf legen. Er würde in dem Lied nach den Ziffern horchen und die Quelle des Traumes aufspüren.
    Es erzwingt eine Erwiderung.
    Irgendwo arbeiteten metallene Hände an dieser sogenannten Erwiderung, und Neb wusste, dass er berufen war, ihnen zu folgen. Es war, als würde nichts anderes mehr eine Rolle spielen. Als hinge alles, was vielleicht einmal eine Rolle spielen könnte, davon ab, den Traum zu finden und ihm zu gehorchen.
    Er beugte sich hinab und nahm das letzte Register aus den Fingern des Mechoservitors.
    Dann überließ er sich dem Lied, erhob sich und verließ die Grabstätte, die der Metallmann für sich erwählt hatte.

Kapitel 23
    Lysias
    Lysias fuhr sich mit den Händen durchs Haar und kniff die Augen über den Berichten auf seinem behelfsmäßigen Schreibtisch zusammen. Draußen pfiff der Wind über die Ebene, auf der einst Windwir gestanden hatte, und die Kälte drang trotz des Ofens, der in der Ecke glühte, in sein Zelt ein.
    Es war ein elender, verheerter Ort, und es brach ihm das Herz, wieder hier zu sein. Die Bilder jenes ersten schrecklichen Anblicks waren in sein Gehirn eingebrannt, von Sethberts weit aufgerissenen Augen und seinem freudigen Gesichtsausdruck, als der Aufseher bei Wein und Käse das fallende Feuer betrachtet hatte, bis hin zu dem schwelenden, stinkenden Knochenwald, in den Petronus und sein Heer von Totengräbern mit ihren Schaufeln und Wagen gezogen waren. Es war die Erinnerung an einen Völkermord, den er mitverursacht hatte, weil er dem falschen Mann die Treue gehalten hatte. Am Ende hatte er dafür bezahlen müssen, und auch das Land, das er mehr als alle anderen liebte, hatte bezahlen müssen.
    Nachdem die Einladung aus den Neun Wäldern eingetroffen war, hatte er zwei Wochen damit verbracht, seine Ehrenwache zusammenzustellen und ihren winterlichen Marsch nach Norden vorzubereiten. Die Waldbewohner hatten sich alle Mühe gegeben, den Rest der Benannten Lande willkommen zu heißen, und
das riesige Zelt aufgebaut, in dem auch der letzte Rat der Androfranziner stattgefunden hatte, wie Lysias vermutete. Außerdem hatten sie mit Bedacht Unterkünfte für jede Bundschaft errichtet, die

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