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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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zu gestalten. Sie hatte an vielen Gräbern gestanden – von entbehrlichen Pfeilen, die vorsätzlich auf das Herz der Benannten Lande abgeschossen worden waren. Und während ein Teil von ihr gegen die Ungeheuerlichkeit anbrüllte, zu der sie sich anschickte, verlangte der noch lautere Teil Leben für ihren Sohn, koste es, was es wolle.
    Und ich bin doch nicht die Tochter meines Vaters.
    Sie spürte, wie die Hände, die sie hielten, locker ließen, und sie wusste, was nun kommen musste.
    Schau dich nicht um , sagte sie sich. Sie wusste, was sie dort sehen würde: eine Mischung aus Zorn und Furcht und Verwunderung. Stattdessen zwang sie sich, vor der Machtvolk-Königin niederzuknien, und umschlang die Füße der Frau mit den Armen.
    »Rettet meinen Sohn«, sagte sie weinend. »Bitte. Wenn Ihr es könnt, rettet ihn.«
    Mit einem Nicken wandte sich die Frau um und tauchte die Nadel abermals ein, um den letzten Tropfen der dunklen Flüssigkeit aufzunehmen. Ezra, der Prophet, hielt Jakob fest in seinen Armen, und die Machtvolk-Königin schüttelte die Nadel über seinem winzigen Mund aus. Die schwarze Perle fiel auf seine Unterlippe, und Jakob, der Erstgeborene von Rudolfo, hörte auf zu weinen.
    Und als die Machtvolk-Königin Winteria bat Mardic ihn nahm und seiner Mutter überreichte, sah Jin Li Tam bereits, wie
das Grau aus seinem Gesicht und seinen Händen schwand und von einem gesunden Rosarot ersetzt wurde. Seine Augen, klar und groß und braun, waren offen und sahen sie an, und er lächelte.
    In diesem Augenblick hörte sie eine Stimme vom Eingang des Zeltes rufen und blickte auf, wo ihr Blick Rudolfo fand.
    Vor Freude und Scham weinend drückte sie ihren Sohn an die Brust und fragte sich, welchen Preis sie für dieses Wunder bezahlt hatte.

Kapitel 24
    Rudolfo
    Rudolfo spürte, wie seine Beine zu Wasser wurden, und taumelte rückwärts gegen den Zigeunerspäher hinter ihm. Der Mann fing seinen König auf und half ihm, wieder sicher auf den Beinen zu stehen.
    Was er gesehen hatte, verschlug ihm den Atem.
    Sie waren dort gelandet, wo einst Windwirs Piere gewesen waren, und der Bundhai war es nicht schwergefallen, einen Ankerplatz in der Nähe des Ufers zu finden, der tief genug war. Die Eisenschiffe – jene, die nicht mit Charles in die Mahlenden Ödlande zu Sanctorum Lux aufgebrochen waren – hatten schon Meilen vorher abgedreht, nachdem ihre Kiele wegen des größeren Tiefgangs beinahe in einem Fluss, der nicht länger von den Androfranzinern ausgeschachtet wurde, auf Grund gelaufen waren.
    Vom Ufer aus war er zum Zelt gerannt, durch eine unsichtbare Wand hindurch, die sich bereitwillig vor ihm geteilt hätte. Nach all den Wochen auf See war er unsicher auf den Beinen, und viel lieber wäre er gegangen, statt zu rennen, aber als er die Warnflagge der Neun Wälder gesehen hatte, konnte er nicht anders.
    Und nun stand er mit offenem Mund da. Rudolfo hatte den Eingang des Zeltes genau in dem Moment erreicht, als Petronus sein Leben aushauchte, und jetzt sah er wie gelähmt zu, wie die
Frau – diejenige, die Ria hieß – erst den toten Papst zurück ins Leben holte und dann seinen Sohn heilte.
    »Ich kenne das Heilmittel nicht«, hatte ihm Rae Li Tam während eines ihrer wachen Momente mitgeteilt, als die Blutmagifizienten sie bereits verzehrten. Sie hatte ihre letzten Tage damit verbracht, ihre kleine Bibliothek durchzugehen und Aufzeichnungen anzufertigen. Sie hatte Listen für Charles erstellt, nach welchen Büchern er suchen sollte, wenn er Sanctorum Lux erreichte. Aber selbst dann, so viel hatte Rudolfo gewusst, waren die Aussichten auf ein Heilmittel gering. Es fühlte sich ungerecht an, so weit zu reisen und so spärliche Ergebnisse mitzubringen, nur, um diese dann vor die Füße geworfen zu bekommen – vor allem auf diese Art. Er wusste, dass es sich um Blutmagie handelte, daran bestand kein Zweifel. Nur anhaltendes Feilschen in den Niederen Gefilden konnte diese Art von Macht hervorbringen. Auf irgendeine Weise und zu einem Zweck, den er nicht ganz ergründen konnte, hatte diese Frau seinen Sohn geheilt, sein Leben gerettet.
    Aber zu welchem Preis? Er erinnerte sich an die Blutleitungen. Er erinnerte sich an den Geruch des Todes und die Schreie unter den Messern.
    Als er nun seine Frau ansah, die sich auf den Boden kauerte und ihren Sohn hielt, wurde er sich der Ausmaße der Ereignisse dieses Nachtmittags bewusst, und er wollte sich zu Boden sinken lassen, widersetzte sich aber der Last seines Körpers.

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