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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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seines Reichtums dem Orden gespendet, im besten Wissen, dass Petronus den Besitz und das Vermögen des Ordens wiederum an Rudolfo weiterleiten würde.
    Und an meine zweiundvierzigste Tochter. Ihm kam der Gedanke, dass sie kurz vor der Entbindung stehen musste. Er hatte die Tage gezählt und ein Dutzend Gedichte zu Ehren der Ankunft des kleinen Herrn Jakob in einer zerrütteten Welt begonnen.
    Vlad sah zu, wie Mal Li Tam leichtfüßig über den Bug des Ruderbootes sprang und es hinter sich auf den Strand zog. Seine Füße und seine Brust waren unbekleidet, er trug lediglich eine locker sitzende Seidenhose. Er lächelte beim Näherkommen.
    »Großvater«, sagte er und neigte den Kopf.
    Vlad erwiderte die Verbeugung. »Und wie fühlt sich mein erster Enkel heute Morgen?«
    Mal warf einen Blick auf die leere Hängematte und den hastig errichteten Unterstand, und sein Lächeln wurde breiter. »Ausgeschlafener als du, möchte ich wetten, Großvater.«
    Vlad lachte leise. »Vielleicht werde ich im Laufe des Tages ein Nickerchen machen.« Er blickte zurück zum Schiff. »Was haben sie denn gefunden?«, fragte er.
    »Vater hat es mir nicht verraten.« Er griff in eine versteckte Tasche seiner Hose und zog eine fleckige, zerknitterte Schriftrolle hervor.
    Vlad nahm sie entgegen und las die verschlüsselte Nachricht zweimal, ehe er sie zurückgab. Die Handschrift war echt, obwohl die Nachricht hastig und mit zitternder Hand geschrieben war.
Und die Botschaft selbst verriet nur wenig. Die Punkte und Kleckse der verschlüsselten Schrift der Tam wiesen auf eine Reihe von Koordinaten jenseits ihrer aktuellen Karten, und in der Nachricht lag eine Dringlichkeit verborgen, aus der hervorging, dass es nicht schaden konnte, wenn Vlad die Sache, die sie aufgespürt hatten, persönlich untersuchte. Aber die Dringlichkeit sprach nicht von Gefahr.
    Er sah auf und begegnete dem Blick seines Enkels. »Wir brechen auf, sobald das Fest von heute Nacht vorüber ist – nur ein Schiff. Aber schick einen Vogel zu den anderen beiden Patrouillen im Süden und gib ihnen den neuen Auftrag, sich uns dort anzuschließen. Du wirst mich begleiten.«
    In Mals Gesicht spiegelte sich eine Regung, die der alte Mann nicht deuten konnte. »Denkst du, drei Schiffe reichen aus?«
    Vlad Li Tam lächelte und klopfte Mal auf die Schulter. »Wenn es um eine ernsthafte Bedrohung gehen würde, hätte dein Vater es gesagt. Kümmere dich aber trotzdem um die Waffenkammer und wähle eine Mannschaft aus, die sich zu See und an Land behaupten kann. Ich habe vor, dir auf dieser Reise das Kommando zu geben.«
    Mal Li Tam verbeugte sich noch tiefer. »Danke, Großvater. Du ehrst mich.«
    Vlad Li Tam erwiderte die Verbeugung. »Und lass dich auf dem Fest sehen«, sagte er mit einem Zwinkern. »Du weißt nie, wann dich der Ruf ereilt, deinen Teil zur Bundschaft beizutragen. «
    Der junge Mann nickte lächelnd und wandte sich zurück zum Boot. Vlad blickte ihm nach, wie er das Ruderboot vom Strand schob und leichtfüßig hineinsprang. Kraftvoll zog er die Ruder durchs Wasser, während er gegen die Flut ankämpfte, und Vlad Li Tam erfreute sich am Anblick seines Enkels in der Morgensonne. Er hätte ihm noch länger nachgeblickt, aber weitere Langboote landeten nun um ihn herum an – weitere Enkel, weitere
Söhne und Töchter. Die Hitze nahm zu, ließ die Luft über dem Sand flimmern und feuchten Dunst aus dem Dschungel aufsteigen.
    Bald würde er in seiner Hängematte eindösen und Kraft für das bevorstehende Fest schöpfen. Und vielleicht würde er in seinen Träumen seinem jüngsten Enkel Jakob begegnen. Das erste seiner Enkelkinder, das nicht den Namen des Hauses Li Tam tragen würde, und das einzige, das in den Benannten Landen bleiben würde.
    Ein weiterer Pfeil, den er auf die Welt abgeschossen hatte.
    Er spürte den Stich der Reue und hoffte plötzlich verzweifelt, dass seine sechste Tochter auf dieser Insel endlich die seltene Kallabeere finden würde. Er vermisste den Trost, den diese Beeren ihm spendeten, wenn die Vergangenheit an der Tür kratzte, und er sehnte sich nach dem Vergessen und den klaren Gedanken, die ihm seine Kallapfeife bescherte, wenn er an all die Pfeile dachte, die er inzwischen in die Welt verschossen oder an ihr zerschlissen hatte.
    Vlad Li Tam zwang seine Aufmerksamkeit wieder an den Strand zurück. Eine Handvoll Urenkel und Enkel spielten in der Brandung, während ihre Eltern die Boote entluden.
    Lachend jagte er ihnen nach.
    Winters
    Winters

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