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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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am Ärmel ab.
    Außerhalb der Halle hörte sie geschäftiges Treiben. Obwohl bereits die Dämmerung heraufzog, war die Siebte Waldresidenz noch nicht zur Ruhe gekommen. Jin Li Tam, Rudolfos Verlobte, hatte schwere Wehen, und die Gänge wimmelten von betriebsamen Dienern, die frische Tücher und alle anderen Gegenstände heranbrachten, die die Flussfrau und Rudolfos Ärzte benötigen mochten. Die Späher, magifiziert wie unmagifiziert, hatten überall in dem riesigen Gebäude aus Stein und Kiefernholz Stellung bezogen. Winters eigene Leute warteten außerhalb der großen Halle.
    Warten auf ihre Königin, damit sie ihnen auf dem fünffachen Pfad der Trauer vorangeht. Ein unwillkürlicher Schauder überkam sie, und sie erstickte einen weiteren Schluchzer. Sie wollte ihre Trauer eindämmen, sie zur Seite schieben, damit sie außerhalb dieses Nebels denken konnte, mit dem der Schmerz sie einhüllte. Es gab Fragen, die beantwortet werden mussten.
    Im Laufe der Jahre ihres Daseins in der Neuen Welt hatten sich unter den Sümpflern immer wieder Splittergruppen gebildet und Revolten waren angezettelt worden. Aber nichts davon war mit dem heutigen Abend vergleichbar. Weshalb sollten Sumpfspäher unter dem Einfluss von Blutmagifizienten den Mann angreifen und töten, den die übrigen Benannten Lande für ihren König hielten? Zu welchem Zweck? Hatten sie vielleicht auf eigene Faust gehandelt? Das Attentat auf den Kronprinzen führte Winters zu dem Schluss, dass dem nicht so war. Dies war ein geplanter
Akt gewesen, und wer immer dahinter stand, befahl über Sumpfspäher und hatte ein Interesse daran, die Benannten Lande glauben zu lassen, die Sümpfler hätten keinen König mehr. Ein Ziehen tief in ihrem Bauch sagte ihr, dass es in dieser Nacht noch mehr Tote gegeben hatte.
    Ein säubernder Wind aus Blut. Sie erinnerte sich an Aedrics Antwort auf Rudolfos Frage.
    »Was für Klingen haben sie benutzt?«
    Sie hatte es gewusst, ehe der Erste Hauptmann antworten konnte. »Eiserne.«
    Eine Tilgung also , dachte sie.
    Aber Rudolfo hatte keinen Kratzer abbekommen. Diese Tatsache musste etwas zu bedeuten haben.
    Die Sumpfkönigin seufzte und drückte Hanrics Hand. »Ich werde dich vermissen«, sagte sie. Dann ließ sie seine Finger los und stand auf. Sie wog die Axt der Herabkunft in der Hand und spürte, wie das harte Eschenholz des Griffes in ihren Fingern vibrierte. Sie wandte sich zu den Türen um. »Es ist so weit!«, rief sie mit erhobener Stimme.
    Die Türen öffneten sich, und ihre Leute kamen herein. Die Frauen trugen Schaufeln und die Männer eine Bahre. Ein Halbtrupp Zigeunerspäher begleitete sie. Winters trat beiseite, als sie alle näher kamen. Die Männer legten Hanric sanft auf die Bahre und stöhnten unter seinem Gewicht, als sie ihn schließlich vom Boden aufhoben. Der Leutnant der Späher stellte sich vor sie und verbeugte sich. »Edle Dame Winters, König Rudolfo bekundet sein Beileid und lässt sich entschuldigen, da es ihm nicht möglich ist, sich Euch anzuschließen. Er bat mich, Euch auszurichten, dass er beim Schwert seines Vaters gelobt, an jedem Jahrestag dieser Nacht seinem Sohn Jakob von Hanric, dem Schatten der Sumpfkönigin, zu erzählen.«
    Sie blinzelte. »Sagt dem Zigeunerkönig, dass ich und mein Volk sich von seiner Gastfreundschaft und seinem Schwur in dieser
düsteren Stunde unseres Daseins geehrt fühlen.« Sie wandte sich zur Tür und hielt inne.
    Neb stand dort, inzwischen in eine frische Uniform gekleidet. Er trat von einem Fuß auf den anderen, als fühle er sich unbehaglich vor ihr. Aber er war gekommen. Bei seinem Anblick spürte Winters, wie sich heiße Tränen Bahn brechen wollten. Sie hielt sie zurück und ging zu ihm. Hinter ihr schwärmten die Späher aus und pfiffen leise und lange ihren magifizierten Gegenübern zu, die – dessen war Winters sicher – alles beobachteten. Ihre Leute schritten langsam hinterher, die Frauen begannen mit den Totenpsalmen. Als sie vor dem jungen Mann stand, ergriff sie seine Hand und zog ihn zu sich. »Ich bin froh, dass du gekommen bist«, sagte sie.
    Neb reihte sich neben ihr ein. »Hast du einen Ruheplatz ausgesucht? «
    Sie nickte. »Ja.« Inzwischen hatten sie die große Halle verlassen und standen vor den riesigen Türen, die sie hinaus in die Winternacht führen würden. Als die Türen mit einem Quietschen aufgingen, sah Winters, dass es zu schneien begonnen hatte. Die Flocken waren klein und trocken, und der Wind wirbelte sie über den Boden. Sie

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