Loch
sie waren auf den Friedhof eingedrungen und wuchsen um die alten Grabsteine und Holzkreuze. Eiserne Plaketten verkündeten Namen, Daten und Grabsprüche: Lang war sein Tun, noch länger wird er ruhn; Little Jimmy gab sein Bestes, doch es war nicht gut genug. Beim Sterben schrie er nach seiner Mama. Dann gab es ein paar richtig alte Steine, die fast verwittert waren.
Norman blieb stehen, um die Inschrift auf einem davon laut zu lesen: »›Eli Crabber. Erschossen von Sheriff Dunbar, Weihnachten 1878.‹ Wahnsinn. Eine echte Schießerei.«
Er blickte zurück nach Pits. Es sah immer noch aus wie ein Pionierort. Es war eine Insel in einem Ozean aus Sand. Auf der anderen Seite der Straße, gegenüber dem Café, konnte er rechteckige Vertiefungen im Boden erkennen, wo einmal Häuser gestanden hatten. Wahrscheinlich das Gefängnis, der Saloon und vielleicht ein oder zwei Bordelle. Alles verfallen und dann vom Wüstenwind davongeweht.
Er spähte gegen die heiße Sonne.
Boots und Nicki gingen immer noch bergauf. Sie hatten den Friedhof nun hinter sich gelassen und strebten dem verlassenen Haus auf dem Hügel entgegen.
Wahrscheinlich war es das einzige original erhaltene Haus aus Pits’ glorreichen Zeiten als Minenstadt. Es musste dem reichsten Mann im Ort gehört haben. Vielleicht dem Eigentümer der Bank.
Oder, wahrscheinlicher, dem Eigentümer der Mine. Damals musste so ein Mann die Macht über das Leben und Sterben der Einwohner von Pits gehabt haben.
Seine Mine.
Seine Stadt.
Norman sah im Geiste einen großen Mann um die fünfzig in Anzug und Zylinder vor sich. Er würde buschige Koteletten getragen und mit einer dieser altmodischen Taschenuhren in der Hand dort oben auf der Veranda gestanden haben.
Er musste kontrollieren, dass die Bergleute nicht zu spät zur Arbeit kamen.
Und wenn sie alle in den Gruben waren und ihre Pickel ins Gestein schlugen, spazierte Mr. Big durch den Ort, bis sein Blick auf eine der Frauen der Minenarbeiter fiel. Dann schickte er sie hoch in sein Haus, um sich zu waschen. Und wenn sie sauber war, übte er seine Rechte als Arbeitgeber in vollem Umfang aus.
O Mann, o Mann. Norman wünschte sich, dieser Minenbesitzer zu sein.
Diese Fantasie erregte ihn so sehr, dass in seiner Unterhose beinahe ein Missgeschick geschah.
Er blieb stehen und atmete ein paarmal tief durch. Über ihm hatten die beiden Frauen fast das Haus erreicht. Vielleicht hatte Boots Nicki gebeten, ihr die ausgestopften Affen zu zeigen.
Tja, wenn es ihr Spaß macht.
Ich hoffe nur, dass sie nicht einen als Andenken mit in den Wohnwagen bringt. Ich will nicht mit einem vermoderten Schimpansen zusammenwohnen, der einen mit seinen Glasaugen die ganze Zeit anstarrt. Da graust es mich.
Als er die letzten Meter über den Friedhof ging, sah er Reihen von neueren Grabsteinen, die anders gestaltet waren als die übrigen. Auf ihnen stand jeweils nur ein einzelner Name: Jango. M’pallar. Mansize. Rebo.
Ich hatte zwar noch nie einen Affen, dachte er, aber das könnten gut die Namen von Pavianen oder so sein.
Er ging zum Ausgang des Friedhofs. Der Pfad wand sich weiter den Hügel hinauf. Es war eine karge Gegend, doch zu seiner Rechten, wo unter den Felsen vielleicht ein wenig Feuchtigkeit aus dem Boden sickerte, sah er eine dichte Gruppe von Pappeln.
Dahinter stieg das Land an und wurde unfruchtbarer. Die einzige Vegetation, die er dort sah, war das grüne Muster der Cylindropuntia-Kakteen. Von seinem Standpunkt wirkten ihre »Finger« weich und flauschig, doch er wusste, dass sie vor spitzen Stacheln strotzten.
Aus dem trockenen Gestrüpp neben einem Grabstein kam das unheilvolle Rasseln eines bösartigen Wüstenbewohners.
Norman beeilte sich.
Kurz darauf hatte er den wackligen Zaun passiert – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die beiden Frauen im Haus verschwanden.
Wenn Boots ausplappert, dass ich die Polizisten getötet habe, wird Nicki aus dem Haus gerannt kommen und über den Friedhof zum Café stürmen, um den Notruf zu wählen.
Du kannst deinen letzten Dollar darauf setzen, dass das nicht passieren wird. Weil ich es nicht zulassen kann.
Wilde Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Wie er mit einem der zerbrochenen Grabsteine auf Nickis Kopf einschlug. Sie verscharrte.
Der beste Ort, um ein Mordopfer zu vergraben, ist ein Friedhof. Da liegen sowieso überall Leichen rum.
Er leckte sich über seine plötzlich trockenen Lippen.
Ehe du die schöne blonde Frau ermordest, musst du natürlich noch Gebrauch von
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