Loch
Nach vorn. Nackter Fels.
Es gibt nur einen Ausweg.
Zurück.
Dahin, wo du hergekommen bist.
Genau in Normans Arme – und vor seinen Lauf.
Aber Norman ist nicht Rodney Pinkham. Er sieht aus wie ein College-Junge aus einer guten Familie. Er spricht gewählt. Er benimmt sich nicht wie dieser Ganove Duke. Und er scheint auf keinen Fall ein Irrer wie Rodney zu sein.
Aber wie kann man einen Psychopathen von einem freundlichen, wohlerzogenen Mann unterscheiden? Man kann nicht wissen, wer ein guter Mensch ist und wer ein Mörder.
»Pamela!«
Pamela blickte zurück durch die Schlucht. Sie war vielleicht dreißig Meter breit, und der ebene Grund wurde von losem Geröll bedeckt. Fast wie ein ausgetrocknetes Flussbett.
»Pamela!«
Die Sonne hatte mittlerweile den Zenit überschritten. Ein Streifen tiefen Schattens verlief über die rechte Seite der Schlucht. Sie sah Norman trotzdem.
Er hatte aufgeholt.
Jetzt war er noch hundert Meter entfernt.
»Pamela!« Seine Stimme hallte von den Wänden der Schlucht wider.
O Gott. Sie sah das Glitzern der Waffe. Ein goldenes Funkeln.
Nachdem sie beinahe von Rodney getötet worden war, konnte sie nicht einfach herumstehen und warten, bis Norman angetrottet kam und sie erschoss.
»Pamela. Es gibt keinen Ausweg.«
Er musste jetzt nicht einmal mehr rufen. Die aufragenden Felswände verstärkten seine Stimme. Leiteten sie zu ihr und verliehen ihr einen unheimlichen Klang.
»Es ist so weit, Pamela«, zischte sie sich selbst zu. »Du sitzt wie eine Ratte in der Falle. Also … was willst du tun? Stehen bleiben und kämpfen? Oder zu ihm gehen? Um Gnade betteln? Ihm alles anbieten, was er will?« Sie schluckte. Eine Träne trat ihr ins Auge.
Und wenn sie sich wünschte, dass jemand sie rettete, dann war es nicht der Mann, von dem sie einst geglaubt hatte, er liebte sie – ihr toter Ehemann Jim –, sondern Sharpe. Der Schutzengel der Straße. Der Fahrer des grauen Busses der Erlösung. Die Träne lief über ihre Wange.
»Pamela.«
Norman war vielleicht noch achtzig Meter entfernt. Er stieg über kniehohe Felsbrocken. Manchmal verschwand er im Schatten, dann tauchte er näher wieder auf.
Erschreckend nahe.
»Nein«, keuchte Pamela. »Ich gebe nicht auf!«
Ihr Blick glitt über die Felswand und suchte nach etwas – irgendetwas! Einer Höhle. Einer Nische, in der sie sich verstecken könnte. Einem verborgenen Durchgang.
Die sonnenbeschienene Felswand war konturlos. Fast so glatt wie eine von Menschen erbaute Wand.
Erst jetzt sah sie sich den Teil der Wand, der unter dem Schleier eines dunklen Schattens lag, genauer an. Aha. Dort war der Fels anders. Stärker dem Westwind ausgesetzt. Sie bemerkte, dass der gelbe Stein verwittert war. Es gab Risse, Vertiefungen, Nischen und Vorsprünge. Keine großen.
Aber, so Gott will, groß genug.
»Pamela!«
Sie blendete die Stimme aus und rannte los. Die Steine rutschten unter ihren Füßen weg. Sie stolperte. Fiel beinahe. Mit reiner Willenskraft hielt sie das Gleichgewicht. Sekunden später erreichte sie die Felswand.
Auf Wiedersehen, Fingernägel. Hallo, aufgeschürfte Knie. Aber was sein muss, das muss sein.
Pamela begann, an der vertikalen Wand emporzuklettern.
»Pamela. Du vergeudest deine Zeit.«
Sie beachtete ihn nicht. Sie kletterte. Ein wiedergeborener Bergaffe, den es eine senkrechte Wand hinauftrieb, weil sein Leben davon abhing. Ihre Augen suchten den Fels ab, fanden Griffe. Manche davon sahen eher aus wie der Bau eines Tieres.
Bete zu Gott, dass keine Schlangen darin lauern.
Ihre Finger ergründeten verborgene Höhlungen. Sie rechnete jeden Augenblick damit, dass nadelspitze Fangzähne in ihren Handrücken schlugen. Aber sie hatte Glück. Keine Schlangen, keine Skorpione. Stetig arbeitete sie sich hinauf. Ihr Rücken schmerzte. Sie keuchte. Die Fingerspitzen waren wund. Ein Finger blutete am Nagel. Kein Biss, nur der unerbittliche Verschleiß.
»Pamela. Geh kein Risiko ein. Du wirst runterfallen.«
»Nein, werde ich nicht.«
Sie warf einen Blick nach unten. Mindestens zehn Meter über dem Grund. Während sie weiterkletterte, blickte sie zu Norman. Er war vielleicht vierzig Meter entfernt. Nah genug, um auf sie zu schießen.
Sie biss die Zähne zusammen, trotzte Schmerzen, Schwerkraft und Erschöpfung und zog sich weiter hinauf. Es war noch verdammt weit bis oben. Sie würde es niemals schaffen, ehe Norman den Fuß der Wand erreicht hatte.
Sie blickte nach rechts. Ungefähr auf ihrer Höhe ragte dort eine
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