Loch
Grinsen verzog. »Klar«, sagte sie. »Genau. Das sagen sie immer: ›Es muss eine logische Erklärung geben.‹ Ja, eine logische Erklärung, gut – ich stecke in der Scheiße, das ist die logische Erklärung.«
Sie beschloss, ihre Mitreisenden genauer zu inspizieren, und ging weiter zum Heck des Busses. Während sie den Gang entlanghumpelte, sprach sie leise mit ihnen. »Ist hier jemand keine Puppe? Melde dich. Kann mir jemand eine logische Erklärung dafür geben, was ihr hier macht? Aber ich will bitte nichts davon hören, dass ich tot und auf dem Weg zur Hölle bin. Oder dass der Fahrer ein Verrückter ist. Verstanden? Vielleicht ist er ein reisender Schaufensterpuppenvertreter? Was haltet ihr davon? Hm? Was meinst du?« Sie fragte den letzten Passagier.
Er saß nicht aufrecht wie die anderen. Er lag ausgestreckt auf der langen Bank ganz hinten im Bus. Als sie sich näherte, konnte Pamela nur seine Beine sehen. Er trug eine dunkle Hose und hatte die Beine übereinandergeschlagen. Die Lehne des Sitzes vor ihm verbarg den Rest seines Körpers.
»Hallo?«, fragte sie. »Hat es dir die Sprache verschlagen?« Was, wenn es ein echter Mensch ist?
Ziemlich unwahrscheinlich, sagte sie sich. Dann trat sie an der letzten Sitzreihe vorbei und sah durch das trübe gelbe Licht, dass sie richtig vermutet hatte: Die Gestalt, die dort auf dem Rücken lag, war ein echter Mensch. Sie begriff, wer er war, als sie sein blutiges Hemd sah. Dann bemerkte sie das saubere runde Loch in seiner Stirn und die Grube, wo einmal sein Auge gewesen war.
Er sah aus, als wäre er vor einer Weile zum Trocknen ausgelegt worden, nachdem man ihn kopfüber in ein Fass mit Blut getaucht hatte. Pamela musste würgen. Sie wandte sich von der Leiche ab und taumelte den Gang entlang, vorbei an den Reihen voller Puppen.
Er hat Rodney mitgenommen! Warum hat er Rodney mitgenommen? Was geht hier …
Der Bus bremste plötzlich, und Pamela wurde nach vorn geworfen. Sie streckte die Arme aus und hielt sich an beiden Seiten an den Griffen der Rückenlehnen fest, um nicht zu stürzen. Hinter ihr ertönte ein dumpfes Geräusch. Sie blickte zurück. Rodney war auf den Boden gefallen.
Der Bus wurde immer langsamer, dann bog er nach rechts ab, sodass Pamela zur Seite kippte. Dank der Griffe konnte sie sich auf den Beinen halten.
Der Bus fuhr nun über eine unbefestigte Straße. Pamela sah den Streifen unebener Erde durch die Windschutzscheibe. Und sie fühlte es. Der Boden bebte unter ihren wunden Füßen. Der ganze Bus hüpfte und schlingerte und vibrierte. Er wackelte so heftig, dass sie befürchtete, er könnte auseinanderfallen. Sie stellte sich vor, wie eine Spur von Teilen seinen Weg markierte: ein Auspuffrohr, eine Radkappe, ein Schalldämpfer, eine Antriebswelle.
Soweit sie es durch die Windschutzscheibe erkennen konnte, führte die schlechte Straße nirgendwo hin, nur zu weiteren Mesquite-Büschen, Kakteen, Gestrüpp, Schluchten, zerklüfteten trockenen Felshaufen und in ein hügeliges Gebiet, das genauso verlassen war wie die Wüste. Er bringt mich nicht in einen Ort, dachte sie.
Vielleicht hat er ein Haus hier draußen, genau wie Rodney. Ein Gruselkabinett, in dem er sich mit mir auf dieselbe Art amüsieren will, wie Rodney es vorhatte. Sie blickte nach hinten. Rodney lag noch auf dem Boden. Er schien bäuch lings zwischen der hintersten Bank und der Sitzreihe davor eingeklemmt zu sein.
Er ging nirgendwo mehr hin.
Der Boden rüttelte so heftig unter ihren Füßen, dass Pamela am liebsten geschrien hätte.
Ich muss mich hinsetzen.
Sie gehörte auf die Bank ganz vorn im Bus. Dort hatte sie jemand – wahrscheinlich der Fahrer – hingelegt, deshalb sollte sie auch wieder dorthin zurückkehren. Außerdem war es schön weit von Rodneys Leiche entfernt. Als sie die Haltegriffe losließ, wurde sie in dem schlingernden Bus nach vorn geworfen. Sie landete auf allen vieren im Mittelgang.
Um nach vorn zu kommen, müsste sie wahrscheinlich kriechen. Scheiß drauf.
Sie kletterte auf den nächsten freien Sitz. In dieser Reihe saßen keine Puppen. Auf der anderen Seite des Gangs waren zwei Bündel auf dem Sitz gestapelt. Eines davon schien ein Schlafsack zu sein, das andere war eine große Stofftasche mit Griffen. Die Sachen des Fahrers, vermutete sie. Er schläft bestimmt im Bus. Vielleicht ist das sein Zuhause, und er lebt hier mit seiner Puppensammlung.
Jetzt hat er mich eingesammelt.
Er hat mir das Leben gerettet, erinnerte sie sich. Zumindest ist
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