Loch
Sie fuhren auf einer zweispurigen Straße durch die Wüste.
Dieselbe Straße, auf der sie mit Rodney gefahren war? Sie wusste es nicht. Aber es sah auf jeden Fall aus wie dieselbe Wüste.
Im Rückspiegel konnte sie das Gesicht des Fahrers sehen, doch seine Augen waren hinter einer Sonnenbrille verborgen. Sie nickte ihm einen Gruß zu, für den Fall, dass er sie ansah. Er reagierte nicht.
Wenigstens weist er mich nicht an, mich hinzusetzen.
Mit der Sonnenbrille, dem Bürstenschnitt und seinem hageren harten Gesicht sah er aus wie ein Motorradpolizist.
Ein Polizist, der nebenbei als Fahrer für Kirchenbusse arbeitet. Das wäre eine Möglichkeit. Es würde erklären, was dort draußen mit Rodney geschehen war.
»Hallo?«, sagte Pamela.
Das Gesicht im Spiegel drehte sich ein wenig. Genauso geduldig wie zuvor erklärte der Fahrer: »Ich kann jetzt nicht reden, Ma’am. Nicht während der Fahrt. Wegen der Sicherheit der Fahrgäste.«
»Okay, tut mir leid.«
Zum Teufel damit, dachte sie. Dann trat sie mitten in den Gang, wandte sich von der hellen Windschutzscheibe ab und spähte in den hinteren Teil des Busses. Im trüben gelben Licht sah sie, dass die meisten Sitze belegt waren. Sie schätzte, es waren fünfzehn oder zwanzig Fahrgäste.
Niemand sprach. Niemand bewegte sich über das Schau keln und Rütteln hinaus, das die Bewegungen des Busses mit sich brachten.
Was für eine muntere Gesellschaft, dachte Pamela.
Bei so vielen Passagieren musste doch wenigstens einer dabei sein, der den Mund aufmachte und ihr erklärte, was los war.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht und bei jedem Schritt zusammenzuckend humpelte sie den Gang entlang. Das Paar in der ersten Sitzreihe wandte nicht einmal den Kopf, als sie sich näherte.
Was ist mit diesen Leuten los? Als sie nur noch ein paar Schritte entfernt war, sah sie, was los war. Sie blieb stehen.
Sie stöhnte.
Sie hielt sich an der nächsten Stange fest und hörte sich selbst murmeln: »Ist das nicht großartig? Ist das nicht genau das, was ich jetzt brauche? Was zum Teufel soll das?«
Das Paar hatte sie nicht ignoriert, hatte sie nicht brüskiert, es wusste einfach nicht, dass sie existierte.
»Puppen«, ächzte sie.
Das Kind auf der anderen Seite des Ganges war ebenfalls eine Puppe. Genau wie die beiden Frauen, die nebeneinander in der nächsten Sitzreihe saßen. Sie sahen aus wie Schaufensterpuppen, die jemand aus einem Kaufhaus gestohlen hatte. Vielleicht hatten sie bei JC Penny Freizeitkleidung ausgestellt. Beide trugen bunte Kleidung, die lässig und bequem aussah: Polohemden, Bermuda-Shorts, Kniestrümpfe und weiße Turnschuhe.
Ihnen gegenüber saß niemand, doch dahinter war eine männliche Schaufensterpuppe mit Nadelstreifenanzug und Krawatte.
Von ihrem Standpunkt aus konnte Pamela mindestens ein Dutzend weitere Fahrgäste sehen, die hier und dort auf den Sitzen verteilt waren. Einige saßen allein, andere zu zweit. Niemand rührte sich.
Es sind alles Puppen. Jeder Einzelne von ihnen. Sie spürte, wie sich eine Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitete. Sie begann an den Knien und kroch über die Beine, den Hintern und das Rückgrat bis zum Nacken hinauf. Pamelas Arme und Brüste kribbelten. Die Nippel wurden steif. Ihre Kopfhaut juckte. Die Beine begannen zu zittern.
Beruhige dich!, sagte sie sich. Es ist halb so schlimm. Die letzte Nacht war wirklich schlimm. Die Sache mit Rodney war wirklich schlimm. Das hier ist nichts. Es ist nur gruselig.
Genau, dachte sie. Es ist keine große Sache, aber es ist verdammt seltsam. Gruselig, unheimlich, gespenstisch. Wie etwas aus einer alten Folge von Twilight Zone – aber keine große Sache.
Keine große Sache, verflucht, ich bin der einzige Mensch inmitten einer Busladung von Puppen!
Vielleicht bin ich tot, überlegte sie. Schöner Gedanke.
Vielleicht hat Rodney mich doch getötet, und das ist eine Art Seelentransporter, der mich da hinbringt, wo auch immer Seelen hingebracht werden. Wie der Zug in dem Lied »This train is bound for glory«, nur dass es eben ein Bus ist.
»Schwachsinn«, murmelte sie.
Ich muss aufhören, mir selbst Angst einzujagen, und herausfinden, was wirklich los ist.
Sie sah über die Schulter zum Busfahrer. Er redet nicht viel, aber zumindest ist er ein echter Mensch. Mein alter Kumpel Charon. Der Fährmann der Toten.
»Schluss jetzt«, ächzte sie und wandte sich wieder den Schaufensterpuppen zu. »Es muss eine logische Erklärung geben.« Sie bemerkte, wie ihr Gesicht sich zu einem
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