Lockend klingt das Lied der Wueste
selbstverständlich. Vielleicht finden Sie dort gute Motive für Ihr Projekt.“
Lisa lächelte erfreut. Doch dann kamen ihr Zweifel. Würde sie ihrem Arbeitsplatz so lange fernbleiben können?
„Motive für ihr Projekt?“, wiederholte Karims Mutter verwundert.
Lisa erzählte von ihrem geplanten Buch.
„Wenn Sie sich so für diese Dinge begeistern, dann können Sie mir sicher auch sagen, wie die Ausgrabungen vorangehen. Hat man schon irgendwelche aufregenden Entdeckungen gemacht?“
„Nichts Weltbewegendes, nehme ich an. Ich bin keine Archäologin, aber die Dinge, die bisher gefunden wurden – bemalte Keramikschalen, Glasscherben und Gegenstände aus Metall –, faszinieren mich. Es sind auch Statuen aus Stein ausgegraben worden, zwar nur klein, allerdings sehr kunstvoll bearbeitet. Nach den ersten Schätzungen sollen sie Hunderte von Jahren alt sein.“
„Hast du diese Fundstücke gesehen?“, wandte Yasmin sich an ihren Sohn.
„Nein. Ich habe die Ausgrabungsstätte bislang nicht besucht.“
„Und trotzdem treibst du alle zur Eile an, damit du mit deinem Bauprojekt fortfahren kannst?“
„Der Staudamm“, seufzte Lisa. Ich wünschte, es gäbe einen Weg, das Land in seinem ursprünglichen Zustand zu erhalten, dachte sie sehnsüchtig. Oder die Bauarbeiten we nigstens so lange hinauszuzögern, bis alle Schätze und Ge heimnisse des Wadi Hirum entdeckt sind.
„Sie wissen davon?“, fragte Yasmin erstaunt.
„Ja. Professor Sanders sagte uns, dass die Grabungen zu einem bestimmten Termin beendet sein müssen. Anschließend soll das Tal geflutet werden, und was noch an Altertümern und Kunstschätzen darunter begraben ist, wird für immer verloren sein.“ Lisa blickte zu Karim und fasste sich ein Herz. „Ich finde, Luftaufnahmen von der Ausgrabungsstätte wären eine großartige Idee. Könnte ich vielleicht mit dem Helikopter zurückgebracht werden, damit ich ein paar Fotos machen kann?“, fragte sie.
Karim nickte bereitwillig. „Ich fliege auch gern den Fluss entlang, damit Sie sehen können, wo die Staumauer liegt und wie groß das Gebiet ist, das von dem Reservoir profitieren wird. Vielleicht ändern Sie dann Ihre Meinung über das Projekt.“
„Dann sind Sie also gegen den Dammbau?“, erkundigte sich Yasmin.
„Es tut mir in der Seele weh, wenn ich daran denke, dass alle Spuren der Vergangenheit damit ausgelöscht werden“, erwiderte Lisa.
„Aber es geht um den Nutzen, den die Menschen in Zukunft davon haben“, hielt Yasmin ihr entgegen, während ihr Blick auf ihrem Sohn ruhte. „Man sollte die Vergangenheit nicht wichtiger nehmen als die Gegenwart.“
Lisa hatte das Gefühl, dass zwischen den beiden eine stumme Verständigung stattfand. Karim sah seiner Mutter für einen langen Moment in die Augen, bevor er sich Lisa zuwandte.
Sie spürte, wie ein warmes Gefühl in ihr aufstieg. Ihre Hand zitterte leicht, als sie einen Schluck von ihrem Eistee trank. Karims Nähe verwirrte und erregte sie. War sie dabei, sich in den attraktiven Scheich zu verlieben?
Unsinn!, schalt sie sich sofort. Sie besaß mehr Verstand, als ihr Herz an ihn zu verlieren, auch wenn er der aufregendste Mann war, den sie jemals getroffen hatte. Sie gehörte nicht in die Welt eines reichen Scheichs mit einer Märchenvilla aus Tausendundeiner Nacht!
„Haben Sie schon etwas von Moquansaid gesehen?“, wechselte Yasmin das Thema.
„Nur während der Fahrt von der Hauptstadt zur Ausgrabungsstätte. Soluddai ist eine wunderschöne Stadt. Die Parks und Grünanlagen bilden einen faszinierenden Kontrast zu der Wüstenlandschaft, die gleich dahinter beginnt.“
„Wir sind nur ein kleiner Staat, dennoch haben wir den Sprung ins einundzwanzigste Jahrhundert im Eiltempo geschafft“, bemerkte Yasmin nicht ohne Stolz. Ihre elegante, westeuropäische Kleidung zeugte davon. Ob sie zum Einkaufen nach Paris flog?
„Ich fand das Stadtbild mit seiner vielfältigen Architektur besonders interessant“, schwärmte Lisa weiter. „Moderne Hochhäuser aus Glas und Stahl verschmelzen mit kunstvollen Bauwerken im orientalischen Stil.“
„Lisa hat das Auge eines Künstlers“, erklärte Karim seiner Mutter. „Von ihr wurden bereits zwei Bildbände veröffentlicht. Ich habe sie übrigens bestellt. Du kannst sie dir ansehen, wenn sie eintreffen.“
„Sie haben meine Bücher bestellt?“ Lisa blieb vor Überraschung der Mund offen stehen.
Er nickte. „Ihre Arbeiten interessieren mich.“
„Aber warum?“
„Vielleicht, um zu
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