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Lockende Kuesse

Lockende Kuesse

Titel: Lockende Kuesse Kostenlos Bücher Online Lesen
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Wind an ihren Mantelschößen zerrte und ihr die Haare ins Gesicht peitschte, war sie noch immer totenblass, ja wirkte fast ätherisch. Ein heftiger Beschützerinstinkt überfiel ihn, und er beugte sich zu ihr hinab und sagte leise: »Gehen Sie niemals allein auf Deck, und vergessen Sie nie, Ihre Kabinentür zu verriegeln.«
    Sie nickte, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, wagte es jedoch nicht, die Lippen zu öffnen. Er fürchtete, sie könnte ohnmächtig werden, doch am Ende hatten sie die Runde geschafft, und er geleitete sie wieder hinunter in ihre Kabine. Dann ging er hinüber in die seine und holte ein Glas Wein. »Hier, schön langsam trinken. Das verträgt man besser als Wasser, es wird Sie wieder ein bisschen aufpäppeln. Braves Mädchen! Und jetzt ab ins Bett und rund um die Uhr geschlafen. Ich werde Jemmy anweisen, Ihnen ein bisschen Zwieback zum Knabbern zu bringen, davon wird Ihnen nicht schlecht.« Dann wandte er sich schwungvoll zur Tür um, sagte aber noch: »Schließen Sie die hier hinter mir ab.«
    Sie flüsterte »Dankeschön«, aber so leise, dass sie nicht sicher war, ob er es gehört hatte.
     
    Erst zu Beginn der zweiten Woche verschwand ihre Seekrankheit. Dennoch verließ sie ihre Kabine nur, wenn Käpt'n Harding Zeit hatte, sie auf Deck zu geleiten. Manchmal lud er sie abends ein, mit ihm zu speisen, und nach den endlosen Tagen der Einsamkeit in ihrer kleinen Kabine nahm sie dankbar an. Beim ersten Mal, als sie seine Kabine betrat, machte sie große Augen. Schneeweiße, gestärkte Tischtücher und Servietten, hohe, silberne Kerzenleuchter, schwere Kristallgläser und kostbares Porzellan zierten seine Tafel. Der Kapitän selbst trug einen sehr formellen dunklen Anzug und ein gestärktes weißes Hemd, doch wirkte er darin eher ungelenk und unbehaglich als elegant. Doch er hatte sich für sie so festlich herausgeputzt, und da war sie froh, dass sie ihr hellgrünes Wollkleid und den dunkelgrünen Samtumhang angezogen hatte. Er blickte sie an und sagte: »Das Auge isst mit.«
    Kitty fand rasch heraus, dass er nichts weiter wollte, als einen Menschen, der ihm zuhörte. Wenn er grob wurde und kaum verhüllte Anspielungen machte, ignorierte sie das einfach und tat, als hätte sie seine Worte überhaupt nicht gehört. Mittlerweile sah sie ihn immer öfter an und fragte sich, wie sie ihn je hässlich hatte finden können. Sein goldener Lockenbart war einfach herrlich, und wenn er lächelte, erschienen gebräunte Lachfältchen neben den verblüffend blauen Augen. Die erzwungene Nähe hatte Fremde zu Freunden gemacht. Er liebte nichts mehr, als mit ihr zusammenzusitzen und ein gutes Garn über seine vielen Reiseerlebnisse zu spinnen, besonders die zahlreichen Raufereien.
    »Raten Sie mal, wie viel Brustumfang ich habe?«, fragte er herausfordernd.
    Ein Lächeln unterdrückend, riet sie absichtlich niedrig: zweiundvierzig Zoll.
    »Ha! Fünfzig! Wenn ich einatme, sogar noch mehr! Sie glauben mir das nicht. Los, holen Sie Ihr Maßband, und ich werd's Ihnen beweisen! Holen Sie's!«
    Da war nichts zu machen. Sie musste ihr Maßband holen und gleich auch noch seinen Bizeps vermessen. Einfach unglaublich!
    Dann sagte er: »Hab ich Ihnen je erzählt, wie ich in dem schicksten Bordell der Welt war?«
    Sie ignorierte sein grobes Geprahle.
    Bei anderen Gelegenheiten zitierte er Gedichte oder Shakespeare. Einmal nahm er sie vollkommen gefangen, als er ausführlich von einem Buch erzählte, das er gelesen hatte.
    »Es hieß >Ekstatische Reise<, wurde 1656 von einem Philosoph namens Athanasius Kircher geschrieben. Er beschreibt darin eine himmlische Reise zu den Planeten. Venus hat ihm am besten gefallen. Die Luft duftete süß nach Moschus und Bernstein, und wunderschöne junge Engel sangen, tanzten und verstreuten Blüten. Ich habe solche Orte gesehen, Kitty. Er hätte damit Ceylon beschreiben können.«
    »Und die Sonne? Was war mit der Sonne? Ich liebe die Sonne!«, sagte Kitty, die hingerissen lauschte.
    »Die Sonne wird von Feuerengeln bewohnt, die in Lichtseen um einen riesigen Vulkan herumschwimmen. Solche Orte habe ich in der Südsee gesehen. Der Saturn dagegen wird von bösen Geistern bewohnt, die ihre Zeit damit verbringen, die Seelen von Sündern zur Rechenschaft zu ziehen.« Wieder erschienen Lachfältchen in seinen Augenwinkeln. »Genie oder Wahnsinniger? Wer soll das entscheiden? Ich nicht, Kitty, ich nicht.«
    Sie blickte ihn an, und auf einmal wusste sie, was ihn so unwiderstehlich machte. Er war

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