Lockende Kuesse
sie. »Ich hätte wissen müssen, dass so was passieren würde!«
Er beäugte sie bewundernd, während sie tobte, schrie und fluchte.
»Bist du fertig? Jetzt hör mir mal zu. Wenn eine Frau an Bord kommt und allein reist, dann sucht sie sich am besten als erstes den stärksten und größten Seemann im Haufen, und der wird sie dann beschützen.«
»Im Austausch für gewisse Dienste, natürlich!«, keifte sie.
»Kitty, alles im Leben hat seinen Preis«, erwiderte er ruhig. »Und der größte und stärkste von der Bande bin nun mal ich. Willst du mein Mädel sein, Kitty?« Er ergriff ihre Hände, beugte sich vor und küsste sie voll auf den Mund. Es war ein angenehmer Kuss; ein guter Kuss. Seine Lippen waren fest und trocken, sein weicher Bart streichelte ihr sanft die Wange. Seine Augen waren freundlich, er roch angenehm, und seine Hände waren sanft. Dennoch befreite sie sich und sagte: »Bitte, zwingen Sie mich nicht! Ich bin noch Jungfrau«, log sie. »Wenn Sie mich zwingen, verlieren Sie Ihre Stellung!«
Seine Augen verengten sich. »Wer ist dein Mann?«
»Patrick O'Reilly«, flüsterte sie.
Der Käpt'n warf den Kopf in den Nacken und lachte dröhnend. »Dann würde ich mehr als nur meine Stellung verlieren, ich würde mein Leben verlieren, Mädel! Dieser O'Reilly ist schon mit mir gesegelt, und ich kenne den Burschen. Kitty, was ich für dich empfinde, ist Liebe, nicht Lust. Wenn du dir diesen O'Reilly ausgesucht hast, dann werde ich dich unbeschadet an ihn weiterschicken.« Seine Augen funkelten schalkhaft, als er nun ihre Geldbörse hochhielt. »Ich werde sie verwahren, bloß zur Sicherheit, du verstehst, und wegen einer eventuellen Belohnung.« Er hielt sie so hoch, dass sie sie trotz aller Bemühungen nicht erreichen konnte und ihm am Ende den gewünschten Kuss geben musste, damit er sie herausrückte.
Als sie in dieser Nacht in ihrem Bett lag, gestand sie sich ein, dass sie in Versuchung war. Ihr wurde klar, dass man Liebe auf unterschiedliche Arten empfinden konnte. Mit Patrick war es etwas ganz Besonderes, ihre Liebe war wild und leidenschaftlich. Es gab nur Höhen und Tiefen, nichts, das dazwischen lag. Es war entweder die reine Ekstase oder die Hölle, das größte Glück oder der schlimmste Schmerz. Bei Jim Harding dagegen verwirrte sie vor allem, dass hier ein Mann war, der wild genug aussah, dass man um sein Leben bangen wollte und der einen dennoch auf ein Podest hob und geradezu anbetete.
Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sie zu unterhalten, und sie liebte ihn aufrichtig dafür. Sie befanden sich schon so lange auf See, abgeschnitten vom Rest der Welt, dass sich ungewollt ein tiefes Band zwischen ihnen gebildet hatte. Wenn das Wetter schlecht war, tat Jim alles für sie, was er konnte: er stützte sie mit seinen starken Armen, dass sie nicht stolperte oder brachte sie zum Lachen, sodass sie ihre Furcht vergaß. Als die Sonne langsam wärmer wurde, bekam Kittys Gesicht eine gesunde Bräune. Ihr Babybauch wuchs allmählich, und sie freute sich riesig auf dieses Kind und sprach oft mit »ihm«, doch wenn sie an Deck ging, verbarg sie ihren Bauch immer unter ihrem langen Mantel, und wenn sie mit Jim zu Abend speiste, achtete sie darauf, einen Schal umzulegen.
Eines Abends, nach dem Dunkelwerden, wurde sie von einem Matrosen gepackt. Es gelang ihr, sich zu befreien und davonzurennen. Da stieß sie unversehens mit Käpt'n Harding zusammen, der sie in ihre Kabine führte, ihre Tränen trocknete und ihren heftig hämmernden Puls beruhigte. Er hielt sie fest in den Armen und murmelte Trostworte, bis sie aufhörte zu weinen und sich ein wenig entspannte.
Mit leiser Stimme begann er Shelleys »Philosophie der Liebe« zu zitieren:
Zum Flusse einen sich die Quellen, Auf dass im Meer der Strom sich finde, Und immerdar in süßen Wellen Vermischen sich des Himmels Winde; Nichts in dieser Welt ist einsam; Göttliches Gesetz herrscht hier, Alles ist im Geist gemeinsam. Warum denn nicht wir?
Sieh den Berg den Himmel küssen. Es umfangen sich die Wogen; Die Blume würd es büßen müssen, Wär sie dem Bruder nicht gewogen. Der Strahl des Mondes küsst das Meer, Die Erde atmet Sonnenlicht; Doch all diese Küsse wären leer, Küsstest du mich nicht.
Als ihre Lippen sich suchten und fanden, schien es das Natürlichste der Welt zu sein. Seine Arme waren stark und doch sanft, seine Lippen zärtlich und doch fest. Seine Berührungen waren sicher, seine Hände magisch erregend. Es schien so natürlich,
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