Lockende Kuesse
verkaufen und mich ganz zur Ruhe setzen«, grübelte Jonathan.
Patrick war schockiert; er konnte diesem Vorschlag zwar nur von Herzen beipflichten, doch er hatte nicht erwartet, den Tag noch zu erleben, an dem sein Vater von selbst auf diese Idee kam. »Nun ja, es hat keine Eile. Wenn Julia mal verheiratet ist, kannst du anfangen, ernsthaft darüber nachzudenken. Ich habe jedenfalls vor, mein Geld künftig nur noch in London zu investieren und nicht mehr im Norden; vielleicht solltest du dasselbe machen.«
Am nächsten Tag, an dem die Verlobungsfeier stattfinden sollte, war Kitty schon um fünf Uhr auf den Beinen. Man hatte ihr aufgetragen, die Feuer in der Küche zu entfachen, und als sie entdeckte, dass sämtliche Kohleeimer leer waren, hätte sie heulen können vor Ärger. Sie hasste es, in den Keller zu steigen, um Kohle zu holen, weil der voller Ratten war; aber noch schlimmer als die Ratten war es, die Kohlen von Hand in die Eimer zu füllen, sie fand es erniedrigend, sich so schmutzig zu machen und den für sie viel zu schweren Eimer die Kellertreppe wieder hinaufzuschleppen. Der Küchenchef hatte für den heutigen Tag Hilfspersonal angeheuert, also musste er sich natürlich mächtig aufplustern und herumbrüllen, damit auch alle wussten, wer hier das Sagen hatte. Er wollte, dass man den Küchenfußboden scheuerte, bevor er auch nur einen Fuß darauf setzte, und diese Aufgabe fiel, wie sollte es anders sein, Kitty zu. Sie sehnte sich nach schönen Arbeiten wie der Herstellung fantasievoller Butterfigürchen oder dem Dekorieren der wunderhübschen Verlobungstorte, doch was man ihr auftrug, war das Ausnehmen und Säubern der Fasane. Immerhin waren diese am Vortag bereits gerupft worden, wofür Kitty Gott dankte. Während die anderen Dienstmägde also beim Anrichten von Kanapees und Horsd'oeuvres mithalfen, hatte sie einen Eimer voller Eingeweide auf dem Schoß und bemühte sich, nur durch den Mund zu atmen, um sich nicht übergeben zu müssen. Sie betete im Stillen, Julia möge nach ihr rufen, aber natürlich waren die Mädchen mit ihren eigenen Vorbereitungen beschäftigt. Es gab eine letzte Anprobe ihrer Abendkleider, und beide verbrachten über zwei Stunden mit dem Friseur. Nach dem Mittagessen musste sie Gemüse putzen. Ihre Hände waren so lange im Wasser, dass sie rot und runzlig wurden. Als sie endlich fertig war, wischte sie sie an ihrer Schürze ab und betrachtete sie entsetzt. Dann zuckte sie mit den Schultern. Nun, da half nichts, sie würde sich ein wenig von Julias Handcreme stibitzen müssen, wenn sie das nächste Mal an ihrem Zimmer vorbeikam. Kitty sehnte sich schmerzlich danach, irgendwo ein stilles Eckchen zu finden, von wo aus sie die Gäste beobachten konnte, doch das übrige Personal schien sich verschworen zu haben, es ihr am heutigen Tag besonders schwer zu machen, und so fand sie sich an der Spüle wieder. Zuerst machte es ihr Freude, die feinen Kristallgläser und das kostbare Porzellan abzuwaschen, doch nachdem sie das vier Stunden lang ohne Pause gemacht hatte, wollten ihr schier die Beine abbrechen. Ihre Hände waren nicht länger rot und runzlig, sondern blass und aufgequollen. Kitty tat sich herzlich Leid. Sie hasste es, alle, das ganze Pack. Sie konnte sich vorstellen, wie es in dem großen Salon, der sich über die gesamte Vorderseite des Hauses erstreckte, zuging: die Musik, das Lachen. Sie schwor sich, wenn sie einmal reich war und Partys gab, würde sie nie die armen Schlucker vergessen, die in der Küche schufteten, um das alles erst möglich zu machen. Es war bereits ein Uhr morgens, als man ihr schließlich erlaubte, nach oben in ihr Bett zu gehen, und ihre müden Beine mochten sie kaum mehr die Treppen hinauf bis unters Dach tragen. Der Gedanke, um fünf Uhr schon wieder aufstehen zu müssen, war ihr fast unerträglich. Neidisch dachte sie an Julia und Barbara, die, wenn sie wollten, bis mittags ausschlafen konnten.
Patrick war am nächsten Morgen ebenfalls recht früh auf den Beinen, um seinen Geschäften nachzugehen. Er mietete ein kleines, aber sehr schickes Reihenhäuschen in der Half-Moon- Street und schickte eine schriftliche Anfrage an eine Beschäftigungsagentur, in der er seine Wünsche in Bezug auf eine Haushälterin äußerte. Des Weiteren schrieb er, er würde morgen vorbeikommen, um seine Wahl zu treffen. Er hielt die Verabredung prompt ein und suchte sich eine von den drei Damen aus, die die Agentur ihm zur Auswahl anbot.
»Mrs. Harris, die Dame, um
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