Lockende Kuesse
seid«, sagte er, und sein Blick hing dabei an Kitty.
Kitty blickte Barbara an. »Du kannst es ihm ebenso gut gleich sagen, Barbara. Er wird's früher oder später sowieso rausfinden.«
Barbara reichte Patrick einen Brief von der Schulleiterin, den er nahm und sorgfältig durchlas. In diskreten Worten stand dort, dass sie leider nicht mehr zur Schule zurückkehren könnten, da sie einen schlechten Einfluss auf die anderen Schülerinnen ausüben würden. Barbara fiel ein Stein vom Herzen, als sie sah, wie Patricks Mundwinkel zuckten. Er blickte auf. »Nun, ihr Fratze, warum seid ihr rausgeworfen worden?«
Und schon sprudelte es aus Barbara heraus: »Ich weiß nicht, ob's an Kittys Zigeunertänzen lag - sie sind ganz schön schockierend, weißt du - oder an ihren Geschichten über ihren umwerfend gut aussehenden Liebhaber, der sie geschändet hat.«
Kitty rang nach Luft und sagte: »Barbara, wie kannst du nur?«, und rannte spornstreichs aus dem Zimmer.
Barbara blickte verwirrt Patrick an. »Na ja, das hat sie sich doch bloß ausgedacht. Ich dachte, das würde dich nicht so wütend machen wie diese Sache, als wir uns einmal als Jungen verkleidet haben und dann die ganze Nacht ausgesperrt waren.«
»Wo zum Teufel habt ihr geschlafen?« Patrick wurde gegen seinen Willen nun doch zornig.
»Im Stall natürlich«, erwiderte Barbara, als ob dies die natürlichste Sache der Welt wäre.
»Und früher warst du immer so ein Hascherl, das vor seinem eigenen Schatten Angst hatte.«
»Ja, und jeder hat mich rumgeschubst! Seit ich beschlossen habe, mehr wie du und Julia zu werden, macht mir das Leben endlich Spaß!«
»Sag Kitty, sie soll sofort runterkommen. Nein, bring ihr diesen Zettel.« Er kritzelte etwas auf ein Stück Papier.
Kitty trocknete sich die Augen und las die Notiz: »Sehr geehrte Zigeunergräfin, wie ich sehe, besteht keine Notwendigkeit, Sie wieder zur Schule zurückzuschicken, da Sie mehr über Anstand und Sitte gelernt haben, als ich je zu hoffen wagte. Unterzeichnet: Der Drecksfürst.«
Kitty musste trotz allem lachen, wollte Barbara aber nicht zeigen, was auf dem Zettel stand. Die Mädchen kamen wieder herunter, und Patrick setzte sie über seine Pläne in Kenntnis. »Nun, da ich sehe, dass ihr nicht mehr in die Schule zurück könnt, können wir ebenso gut zu Julia nach London gehen. Ich muss morgen nur noch bei Samuel Haynsworth vorbeischauen, aber danach rufen mich meine Geschäfte nach London. Wir können unterwegs Terry auflesen und ihn über Weihnachten mitnehmen.« Barbara wurde knallrot und Patrick sagte leichthin: »Diese Rooneys sind die reinsten Teufel, nicht wahr?«
Patrick fuhr hinaus zur Rose Bank, um Samuel Haynsworth aufzusuchen. Dieser führte ihn gleich überall herum, nicht nur im Haus, sondern auch in der Bleichanstalt. Mit einem Seitenblick auf Patrick sagte Haynsworth: »Derjenige, der meine Tochter heiratet, bekommt die Hälfte von allem!«
»Eine volle Partnerschaft? Und was ist mit Ihrem Sohn, Sam?«
»Null Interesse am Geschäft. Im Übrigen hat er das Vermögen seiner Mutter geerbt, als sie starb. Ich brauche jemanden, dem ich all das hier hinterlassen kann, also hab ich beschlossen, es meiner Tochter und meinem künftigen Schwiegersohn zu geben - das heißt, falls ich einen kriege.« Er stieß ein diskretes Hüsteln aus.
Patrick wusste nun, welchen Kandidaten Samuel Haynsworth favorisierte und dachte, dass die Sache eine gründliche Überlegung wert war.
Als sie bei Julia am Cadogan Square eintrafen, waren die Weihnachtsvorbereitungen dort bereits in vollem Gange. Patrick wusste genau, was er sich zu Weihnachten wünschte. Aufgeregt machte er sich umgehend daran, ein Schäferstündchen vorzubereiten. Nicht einmal als kleiner Junge hatte er so viel Vorfreude auf Weihnachten empfunden.
Auch Kitty war aufgeregter als seit Jahren. Sie freute sich auf das kommende Weihnachtsfest und auch auf das, was das neue Jahr wohl bringen mochte. Sie hatte das deutliche Gefühl, dass ein Abschnitt ihres Lebens nun zu Ende ging und ein neuer begann. Patrick hatte sie vor einem harten, entbehrungsreichen Leben gerettet, und dank seiner Fürsorge hatte sie ihre frühere Vitalität wiedererlangt. Ja, er hatte sogar dafür bezahlt, dass sie ein Institut für junge Damen besuchte, sodass sie eine akzeptable Ehefrau werden konnte. Er hatte sich schon anfangs in ihrer Gegenwart sehr merkwürdig verhalten, doch jetzt machte er kein Hehl mehr aus der Tatsache, dass er verrückt nach
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