Lockende Kuesse
wieder erholen. Wer hat ihm das angetan?«
»Mein Gatte«, entgegnete sie ruhig.
»Man sollte ihn erschießen!«, tobte er.
»Da stimme ich Ihnen bei. Ich fürchte jedoch, da ist noch mehr, Herr Doktor. Würden Sie mir bitte folgen?«
Sie betraten den Raum, und Dr. Fielding schrak entsetzt zurück. »Herrgott im Himmel, was geht hier vor?«
Brockington stammelte etwas Unverständliches, und der Doktor blickte Kitty um Erklärung heischend an.
»Ich werde Ihnen genau sagen, was passiert ist, Herr Doktor, und es wird die volle Wahrheit sein«, betonte sie. »Ich bin mitten in der Nacht durch ein Weinen aufgewacht. Es klang wie mein Bruder, aber er und mein Mann waren in London. Also habe ich zur Sicherheit meine Pistole genommen und nachgesehen. Ich fand diesen Mann und meinen Gatten, wie sie meinen Bruder vergewaltigten. Ich weiß, es gibt ein Wort für Männer wie sie, aber ich kenne es nicht.«
»Das sind Päderasten«, erwiderte der Doktor scharf.
»Brockington hier hat versucht, mir die Waffe zu entwinden, und dabei ging sie versehentlich los und hat meinen Mann getötet. Er behauptet, es wäre meine Schuld, und ich könnte genauso gut behaupten, es ist seine Schuld, aber die Wahrheit ist, dass wir beide dafür verantwortlich sind.«
Stille folgte dieser Erklärung. Dann trat der Arzt zu Simons Leiche und untersuchte sie.
»Ich bin Lord Brockington. Sagen Sie diesem Weib, sie soll mich sofort losbinden«, befahl er.
Kitty ging zu ihm und löste die Stricke, mit denen er gefesselt war. Daraufhin stürzte er sich sofort auf seine Kleidung und zog sich hastig und würdelos an. Der Doktor schüttelte den Kopf. »Das ist höchst ungut, höchst ungut! Sie müssen einsehen, dass ich nicht einfach einen Totenschein ausschreiben kann. Ich wüsste ja nicht, ob ich das Ganze als >Unfall< oder als versehentliche Tötung< bezeichnen sollte, aber darum geht es eigentlich nicht. Die Polizei muss her.«
Brockington protestierte sofort: »Guter Gott, Mann, einen solchen Skandal können wir uns nicht leisten. Mein Vater würde Sie ruinieren«, drohte er.
Kitty sagte: »Ich beuge mich Ihrer Entscheidung, Herr Doktor, wie immer sie auch ausfallen mag.«
Er blickte beide ein paar Minuten lang an, wobei er die Möglichkeiten erwog und sagte dann: »Das Beste, was ich tun kann, ist wohl, meinen Kollegen hinzuziehen, der amtlicher Leichenbeschauer und Untersuchungsrichter für diesen Distrikt ist. Ob er ein Verfahren einleiten wird, weiß ich nicht. Ich komme morgen wieder und bringe Dr. Grant-Stewart mit.«
»Otis Grant-Stewart?«, fragte Brockington. »Aber der ist ein Freund meines Vaters!« Kitty konnte sehen, wie er wieder Oberwasser gewann, und versuchte, nicht in Panik zu geraten. Diese reichen Schnösel würden sich zusammenschließen, und das wäre ihr Ende.
»Ich danke Ihnen, Dr. Fielding. Ich bin froh, dass Sie so rasch kommen konnten«, sagte sie, als sie ihn hinausbrachte.
Kitty fühlte gar nichts mehr. Mrs. Hobson half ihr, Simon hochzuheben. Seltsamerweise sah das Einschussloch sehr klein aus und blutete kaum, doch als sie seinen Körper anhoben, sahen sie, dass sein gesamter Hinterkopf weggepustet worden war. Sie wusch ihn und zog ihm die Sachen an, die er in London getragen hatte. Sie war einerseits wie betäubt, doch gleichzeitig rasten Gedanken wild durch ihren Kopf. Sie dachte immerzu an Patrick, Terrance, Simon, Brockington, den Doktor und den Untersuchungsrichter, der morgen kommen würde. Einen Moment lang konnte sie überhaupt nicht mehr denken, doch dann schalt sie sich. »Ich muss überlegen! Was soll ich sagen, wenn der Doktor kommt? Wenn Brockington und Grant-Stewart die Köpfe zusammenstecken, bin ich nur noch der bettelarme irische Sündenbock.« Ihr war klar, dass die Dinge -sehr, sehr schlecht für sie standen. Und sie war zynisch genug, um zu wissen, dass sie viel gemein hatten, während sie die Außenseiterin war. Selbst wenn sie sich nicht gekannt hätten, wären es zwei Männer gegen eine Frau gewesen. Sie hätte keine Chance.
Da machte sie Tee und brachte ein Tablett nach oben in das Schlafzimmer, das Lord Brockington während seiner häufigen Besuche immer benutzte. Er lag auf dem Bett und starrte an die Decke. »Ich dachte, Sie möchten vielleicht eine Tasse Tee. Ich kann jedenfalls eine gebrauchen.« Sie versuchte sich ihre tiefe Erschöpfung nicht anmerken zu lassen. Als sie an ihrem Tee nippte, sagte sie leise: »Weiß Ihr Vater, dass Sie ein ... ein Päderast sind?«
Er
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