Lockende Kuesse
blickte sie trotzig an, doch als sie den Blick ruhig auf ihn gerichtet hielt, wandte er die Augen ab und schüttelte verneinend den Kopf.
»Das wird ihm ganz schön wehtun, nicht wahr?«, fragte sie sanft. »Wenn ich Sie wäre, würde ich nach Frankreich gehen, bis alles vorbei ist. Ich habe ein wenig Geld, das ich Ihnen geben könnte«, erbot sie sich.
Ihre Großzügigkeit rief zum ersten Mal ein Gefühl von Scham in ihm hervor. »Ich kann Sie nicht einfach allein in dieser Tinte sitzen lassen.«
»Ich will ganz offen sein, Brocky. Wir sitzen wirklich in der Tinte, aber ich glaube, ich wäre allein besser dran. Wenn sie glauben würden, dass Sie sich davongemacht und mich in dem Schlamassel sitzen gelassen haben, würden sie nur eine arme, hilflose Frau vor sich sehen.« Als weiteren Anreiz fügte sie hinzu: »Ich habe hundert Pfund, die ich Ihnen geben könnte, wenn Sie noch heute Abend fortgehen.«
»Holen Sie's!«, rief er. »Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mir ein Reittier ausleihe?« Eine überwältigende Erleichterung erfüllte sie, als die bleiche Dämmerung über den Nachthimmel kroch. Sie blickte an sich hinab und stellte zu ihrem Erstaunen fest, dass ihre Sachen blutbeschmiert und vollkommen zerknittert waren. Nur mit großer Willensanstrengung brachte sie ihre Beine dazu, sich in Bewegung zu setzen. Sie musste sich waschen und umziehen, bevor die guten Doktoren eintrafen.
Deren Kutsche fuhr am Vormittag vor, und Kitty begrüßte Dr. Fielding mit einem Ausdruck unschuldigen Vertrauens. Sie fühlte, dass Otis Grant-Stewart sie von Kopf bis Fuß musterte. Sie blickte Fielding flehentlich an und ihre Lippen zitterten. »Doktor, Lord Brockington ist geflohen und hat all mein Geld mitgenommen.«
Er blickte überrascht drein. »Wenn das stimmt, dann hätten Sie die Polizei rufen müssen. Ich habe Ihnen schon letzte Nacht gesagt, dass sie hinzugezogen werden muss.« Sie warf Dr. Grant-Stewart einen raschen flehentlichen Blick zu. »Aber die Polizei würde einen solch hässlichen Skandal verursachen. An Lord Brockington liegt mir nichts, aber ich habe an seinen Vater gedacht.«
»Ganz richtig, meine Liebe, ganz richtig«, bemerkte Dr. Grant-Stewart. Er räusperte sich und murmelte: »Ah, Dr. Fielding hat mir in lebhaften Farben geschildert, was gestern Nacht hier passiert ist, also möchte ich von Ihnen nur wissen, wie das mit der Schießerei war.«
»Ich danke Ihnen, Doktor.« Mit einem Lächeln wandte sie sich an Dr. Fielding. »Könnten Sie vielleicht noch einmal nach meinem Bruder sehen, Herr Doktor? Sie haben es gestern Nacht so wundervoll verstanden, ihn zu beruhigen, ich wüsste nicht, was ich ohne Sie getan hätte.« Er nickte und ließ sie stehen. Kitty brachte Dr. Grant-Stewart ins Schlafzimmer ihres Mannes. Er untersuchte die Leiche nur oberflächlich, und Kitty blickte ihn mit Tränen in den Augen an. »Wenn ich an all den Spaß denke, den sie immer gehabt haben. Parties jedes Wochenende; all die jungen Männer aus den besten Londoner Familien. Ich fürchte, es wird ganz schön übel werden, wenn Sie die Einzelheiten bekannt geben.«
Wieder räusperte er sich und sagte: »Es würde Ihnen sicherlich viel Kummer ersparen, meine Liebe, wenn ich ganz einfach den Totenschein ausschreiben würde. Wir werden >Tod durch Unfall« einsetzen. Neugierige Leute werden annehmen, dass es sich um einen Jagdunfall handelte, und ich sehe keinen Grund, sie eines Besseren zu belehren. Ich bereite die Beerdigung für morgen vor.«
Endlich konnte sie an Schlaf denken. Sie blickte das Bett an. Das letzte Mal, dass sie darin geschlafen hatte, war sie sicher in Patricks Armen gelegen. Herrgott! Wie lange schien das jetzt her zu sein. Sie sank ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf, um den hellen Tag auszusperren. Die nächsten zwanzig Stunden schlief sie wie eine Tote, bis Terry sie schließlich wachrüttelte.
»Liebe, geht es dir gut?«
Sie blickte in seine besorgten braunen Augen auf und lächelte. »Ich dachte, du wärst Patrick. Sobald die Beerdigung vorbei ist, fahren wir nach London zu Julia. Wenn Patrick aus Amerika zurückkehrt, heiraten wir.«
»Bist du sicher, dass er dir wirklich die Ehe versprochen hat, Kitty?«, fragte er zweifelnd.
»Sicher hat er das!«, sagte sie steif. »Worauf willst du hinaus?«
»Na ja, es ist leicht, einer verheirateten Frau die Ehe zu versprechen. Ich hab's selbst schon getan. Du sagst andauernd, sobald du frei bist und weißt doch ganz genau, dass dieser
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