Lockende Versuchung
Mit diesen Worten war Edmund verschwunden, noch ehe Crispin Einspruch dagegen erheben konnte.
„Auf zivilisiertem Fuße!“, lachte er. „Onkel ist und bleibt doch immer derselbe, phlegmatisch und unerschütterlich in seinen Grundsätzen. Ich fürchte, die Zeit meiner Abwesenheit ist sehr langweilig für dich gewesen, mein Herz. Nun, nun, du musst doch jetzt nicht mehr weinen.“
25. KAPITEL
„Jetzt kommt der beste Teil meiner Geschichte.“ Crispin lächelte Julianna über den Esstisch hinweg zu. „Brock, alter Seebär, bleibe hier und höre mit zu. Du gehörst doch zur Familie und willst auch etwas über meine Heldentaten hören, nicht wahr?“
Brock nickte eifrig und zog sich einen Stuhl heran.
„Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, wir segelten in den Gewässern um die Philippinen, als wir in der Ferne Rauch sahen und Kanonendonner hörten. Näher gekommen, erkannten wir, dass ein britisches Schiff in einen verzweifelten Kampf gegen eine spanische Galeone verwickelt war. Natürlich kamen wir unseren Landsleuten zu Hilfe.“
„So ist’s richtig, Junge!“, rief Brock begeistert.
Mit einem dramatischen Klang in der Stimme fuhr Crispin fort: „Die Dämmerung brach herein. Noch hatte der Spanier keine Ahnung von unserer Gegenwart, bis wir uns mit der sinkenden Sonne im Rücken näherten und unsere Ankunft mit einer Reihe gutgezielter Achtpfünder mittschiffs verkündeten. Einer davon schlug in den Rumpf genau an der Wasserlinie ein. Ich setzte eine Entermannschaft aus, die die spanische Besatzung lange genug ablenkte, um dem Engländer die Möglichkeit zum Atemholen zu geben. Dann nahmen wir das spanische Schiff in die Zange, das sich unseren tapferen Mannschaften schließlich bedingungslos ergeben musste.“
„Das würde ich ihm auch geraten haben!“ Brock strahlte, als sei er selbst an dem Sieg beteiligt gewesen.
Crispin spießte indes das letzte Stück des Kalbsbratens auf. „Brock, sage Mrs Davies, dass ihre Kochkunst nach wie vor unvergleichlich ist. Ich kann euch gar nicht sagen, wie gut es mir schmeckt nach dem monatelangen Pökelfleisch, Schiffszwieback und gesalzenen Zitronen.“
„Gesalzene Zitronen?“ Julianna verzog den Mund.
„Ja, sie wurden mir von den gelehrten Freunden deines Vaters als probates Mittel gegen Skorbut empfohlen, und ich habe tatsächlich keinen einzigen Mann an dieser Krankheit verloren. Der arme Commodore Anson kann das nicht von sich behaupten.“
„Anson?“ Brock richtete sich überrascht auf. „Ist das nicht der Admiral, der die Welt umsegeln wollte? Man hat doch von seinen Schiffen nie wieder etwas gehört.“
„Ganz recht, so sagt man“, erwiderte Crispin. „Aber ich will jetzt meinen Bericht fortsetzen. Es folgt nämlich gleich die interessanteste Stelle.“
„Ich dachte, die hättest du gerade zum Besten gegeben“, sagte Julianna ein wenig ungeduldig.
„Oh, entschuldige, Schatz. Ich langweile dich sicherlich.“ Crispin strich sich die verwegene Locke aus der Stirn, die ihn trotz des Bartes so jungenhaft aussehen ließ.
„Keineswegs“, beeilte sich Julianna zu versichern. „Aber ich wollte doch wissen, warum du so viel früher als geplant nach England zurückgekehrt bist.“
„Nun, da greift eines ins andere. Gönne mir also noch ein paar Minuten, um meine Erzählung zu Ende zu bringen. Also: Nachdem wieder Ruhe eingetreten war, rief mich der Kapitän des englischen Schiffes zu sich, um mir seinen Dank abzustatten. Und wer, meint ihr, war es? Kein anderer als Admiral George Anson! Ihm war nur dieses eine Schiff übrig geblieben, und dazu eine Handvoll Seeleute.“
„Sir Edmund meinte, Lord Anson sei mit seinem Unternehmen von Anfang an schlecht beraten gewesen.“ Brock schien erfreut zu sein, die Ansicht seines Herrn bestätigt zu finden.
„Da wir gerade von Sir Edmund sprechen …“, mischte sich Julianna ein. Zum ersten Male seit Monaten benutzte sie wieder diese förmlich Bezeichnung. „Wo steckt er eigentlich? Ich habe ihn seit gestern nicht mehr zu Gesicht bekommen.“
Brock hob die Schulter. „Er hat in der Stadt dringende Geschäfte zu erledigen – so etwa sagte er.“
„Das sieht ihm wieder ähnlich.“ Crispin schüttelte lachend den Kopf. „Es müssen schon wichtigere Dinge passieren als die unerwartete Heimkehr seines Neffen vom anderen Ende der Welt, um ihn von seinem geheiligten Tagesablauf abzuhalten. Aber nun weiter. Es stellte sich heraus“, fuhr er in der Beschreibung seines Erlebnisses fort, „dass der
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