Lockende Versuchung
Ruhe. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben“, erwiderte Edmund barsch.
„Edmund, ich bitte dich, weise mich nicht zurück. Ich bin doch deine Frau!“
Einen Augenblick lang verschlug es ihm den Atem, dass Julianna ihn mit einer derart grausamen Lüge verhöhnte. Er hätte sie packen mögen und unter sich zerdrücken mit einer Wildheit, die die Zudringlichkeiten von Vetter Laurence zu einer Farce machte. Mit dem letzten Rest Selbstbeherrschung, den er mühsam sammeln konnte, spie er die Worte förmlich aus:
„Du bist seine Frau – bist es immer gewesen. Mir bedeutest du nichts.“
Julianna taumelte wie unter einem Peitschenhieb, schlug die Hände vor das Gesicht und floh wie gehetzt aus dem Zimmer. Nun, wenigstens habe ich die Macht, sie zu verletzen, dachte Edmund triumphierend. Doch das Gefühl seiner Überlegenheit wurde von einer Woge kalter Verzweiflung hinweggespült.
Oh, dieser Lärm!
Edmund hörte Stimmengewirr in der Eingangshalle und rasche Schritte auf dem Korridor vor seiner Tür. Sein Kopf schmerzte unerträglich, und die Erinnerung an die vergangenen Nacht war nur schemenhaft.
Hastig kleidete er sich an. Was mochte Julianna wohl jetzt wieder vorhaben? Seit sie in sein Leben getreten war, hatte es nichts als eine endlose Kette von Durcheinander und Scherereien gegeben. Ärger verdrängte das Hämmern in seinem Kopf, und das war gut so. Er wollte sich ärgern. Ärger war eine einfache, kraftvolle Gefühlsäußerung, und er konnte damit leben.
„Was geht hier eigentlich vor?“, fuhr er ein paar Hausmädchen an, die gerade dabei waren, Koffer und Bündel die Treppe hinabzutragen.
„Das hat die Herrin angeordnet“, erwiderte Agnes bedrückt. „Sie reist ab, hat sie gesagt.“
„Nun, das werden wir ja sehen.“ Edmund begab sich schnurstracks in die Halle, in der sich bereits Gepäckstücke aller Art türmten. Brock war nirgends zu sehen, hol’s der Kuckuck! Aber Crispin und Julianna standen inmitten des Wirrwarrs und redeten aufeinander ein.
„Liebes, was soll das nur bedeuten?“ Crispin hob ratlos die Hände.
Gespannt wartete Edmund auf Juliannas Antwort. Sie hatte ihn kommen gesehen und blickte ihn nun unverwandt an, obwohl die Antwort an Crispin gerichtet war.
„Du musst doch einsehen, Crispin, dass ich mich in einer äußerst schwierigen Lage befinde. Ich lebe unter einem Dach mit einem Gemahl, von dem ich mich trennen will, und zugleich mit dem Manne, den ich zu heiraten gedenke, wenn die Trennung von dem ersten vollzogen ist.“
„Oh, natürlich, daran hatte ich gar nicht gedacht, mein Schatz“, entgegnete Crispin einsichtig. „Aber warum so überstürzt? Du hättest doch vorher mit Onkel Edmund und mir darüber sprechen können, anstatt uns derart zu überrumpeln.“
„Ich sah keinen Grund, dich zu fragen, da es ja nicht dein Haus ist.“ Edmund hätte am liebsten Beifall gespendet für diese aufsässige Antwort. „Und was deinen Onkel betrifft – er war zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um auch nur einen einzigen Gedanken an meine Situation zu verschwenden.“
„Und wohin willst du nun gehen?“ Crispin schien über die Eigenmächtigkeit seiner Braut nicht sonderlich erfreut zu sein.
Mit einem, wenn auch nur angedeuteten, Gefühl von Mitleid beobachtete Edmund, wie Julianna verwirrt nach Worten suchte. Offensichtlich war sie so darauf versessen gewesen, sein Haus zu verlassen, dass sie dieser nicht unbedeutenden Fragen noch gar keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
„Ich … nun … das heißt …“
„Natürlich bleibt sie vorerst bei mir.“ Vanessa war unbemerkt eingetreten. „Crispin, lieber Junge!“ Sie drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf beide Wangen. „Ich habe gehört, dass du in Glanz und Gloria zurückgekehrt bist. Mein Gott, wie männlich du aussiehst! Ich liebe Bärte. Jede Frau muss ja Herzklopfen bekommen, wenn sie dich erblickt.“
„Oh, hallo, Vanessa.“ Crispin machte einen etwas geistesabwesenden Eindruck. „Was willst dudenn hier?“
„Das ist ja eine überaus reizende Begrüßung von einem Vetter, den man mehr als ein Jahr nicht gesehen hat.“ Kopfschüttelnd sah sich Vanessa in der Halle um. „Nun, das sieht ja aus wie in dem Gepäckraum einer Poststation. Julianna, meine Kleine, es ist doch nicht nötig, dass du all dein Hab und Gut mitnimmst. Packe nur das Nötigste zusammen.“
Nun sah sich auch Edmund veranlasst, sich in den Tumult zu mischen. „Ach, das ist ja sehr interessant. Also, ihr
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