Lockende Versuchung
zu Sir Edmund hinüber, der in Gedanken versunken weder ihr frohes Lächeln noch ihre zufriedene Miene wahrzunehmen schien. Die Veränderung, die in den vergangenen Wochen mit ihm vorgegangen war, war unübersehbar und günstiger, als sie zu hoffen gewagt hatte. Die hohlen Wangen waren verschwunden, die Blässe war vergangen und der Gewichtsverlust halbwegs ausgeglichen. Jetzt schritt Edmund Fitzhugh stolz durch Abbot’s Leigh wie ein strammer Bursche in der Hälfte seines Alters.
Vor etwa zwei Wochen war er zum ersten Male seit geraumer Zeit wieder auf ein Pferd gestiegen und hatte dabei Julianna ermutigt, reiten zu lernen, um ihn bei seinen weiteren Ausflügen begleiten zu können. Aber nach einigen unsanften Stürzen von der lammfrommen alten Stute und einem vom ungeschickten Sitzen im Sattel schmerzenden Steißbein hatte sie murrend aufgegeben, und Sir Edmund hatte sich allein auf den Weg gemacht. Offensichtlich weckte die verlassene junge Frau Nelson Tullys Mitgefühl, denn am nächsten Tag erschien er mit einem alten Sattel, dessen breite, flache Vorderseite Julianna einen bequemen Sitz vor Sir Edmund bot. Nun konnte sie sich in seine starken Arme zurücklehnen, mit dem Wind um die Wette über die weiten Felder galoppieren und die herrliche Mischung von Abenteuerlust, versetzt mit dem Gefühl unbedingter Sicherheit, aus ganzem Herzen genießen.
Eine Weile ließ Sir Edmund das Boot treiben und hielt es nur auf Kurs, indem er ab und zu eines der Ruder ins Wasser tauchte. Verstohlen blickte er dabei auf Julianna. In nur drei Monaten war sie ein untrennbarer Teil von Abbot’s Leigh geworden, das man sich ohne sie gar nicht mehr vorstellen konnte. Sie hatte den ganzen Haushalt zu einer einzigen Familie zusammengeschweißt, so wie er es sich als Kind immer gewünscht hatte.
Mitten in diesen angenehmen Überlegungen schreckte Sir Edmund plötzlich empor, als er bemerkte, dass Julianna sich weit vorbeugte und die Hand nach einer Seerose ausstreckte. Noch ehe er sie warnen konnte, war das Unglück jedoch bereits geschehen. Das Boot kippte zur Seiteund kenterte dann so rasch, dass beide Insassen im Wasser versanken.
Prustend und schnaufend tauchte Sir Edmund rasch wieder auf und sah sich suchend nach Julianna um. Aber nur das Boot trieb kieloben mit der Strömung weiter, sodass es keinen Sinn hatte, ihm nachzuschwimmen. Dafür steigerten einige dicke, aus der Tiefe aufsteigende Luftblasen seine Besorgnis ins Unermessliche. In panischer Angst tauchte er unter die Wasseroberfläche, konnte aber in dem trüben braunen Nass nichts erkennen. Entsetzt tastete er um sich, denn ihm war plötzlich bewusst geworden, dass er Julianna um nichts in der Welt wieder hergeben würde … dass er sie liebte wie nie zuvor einen anderen Menschen. Lieber wollte er sterben, als ein Leben ohne sie zu führen.
Gerade als er glaubte, seine Lungen müssten vom ausdauernden Tauchen bersten, spürte er eine Hand an seinem Ärmel. Fast besinnungslos vor Angst und Erleichterung griff er zu und brachte den leichten Körper mit wenigen Schwimmstößen zum Ufer, wo Julianna dann, hustend und keuchend, wohl einen Liter Flusswasser von sich gab.
„Du verflixter kleiner Dummkopf“, schimpfte Sir Edmund wütend, während ihm die Nässe aus allen Kleidern tropfte. „Du hättest eine Tracht Prügel verdient. Was hast du dir dabei gedacht?“
„Es … es tut mir ja so leid, Sir Edmund.“ Julianna schnappte krampfhaft nach Luft. „Es war … dumm von mir. Die Seerose …“
„Dumm ist ja noch geschmeichelt. Wegen einer Blume fast ertrinken!“ Sir Edmund sah Julianna genauer an und begann dann unvermittelt zu lachen. „Nun, wenigstens hast du sie unbeschädigt mitgebracht.“
Verwundert griff Julianna in ihr triefendes Haar – und hielt eine Seerose in der Hand. Einen Herzschlag lang sahen sich beide mit großen Augen an. Dann ließen sie sich nebeneinander ins Gras fallen und schütteten sich aus vor Lachen, wollten gar nicht mehr aufhören damit.
„Wenn uns jemand so sehen würde“, japste Julianna schließlich, „würde er uns so schnell wie möglich in die Anstalt von Bedlam bringen lassen.“
Gleichermaßen erschöpft von dem unfreiwilligen Bad wie von ihrem Heiterkeitsausbruch lagen sie eng beieinander. Julianna hatte ihren Kopf an Sir Edmunds Brust gebettet, der ohne nachzudenken den Arm schützend um ihre Schulter geschlungen hatte.
Plötzlich wurde Julianna ganz still. „Es ist so schön hier“, flüsterte sie. „Ich
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