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Lockende Versuchung

Lockende Versuchung

Titel: Lockende Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Hale
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Stimme klang dabei dünn und traurig. „Was ich nie gehabt hatte, vermisste ich auch nicht. Und da waren ja auch immer noch Winnie und meine Großmama. So habe ich das Fehlen meiner Mutter erst richtig bemerkt, als Großmama starb und mein Vater wieder heiratete.“ Sie hielt inne und schluckte leise.
    Sir Edmund zog sie an sich, legte ihren Kopf an seine Schulter und flüsterte: „Erzähle mir davon.“
    Eine Zeit lang herrschte Schweigen. Julianna spürte den Stoff seines Hemdes an ihrer Wange und erinnerte sich daran, wie sie sich in ihrer Hochzeitsnacht in seinen Armen ausgeweint hatte. Schließlich brachen die Worte aus ihr heraus, so sehr sie sich auch dagegen wehrte.
    „Ich war gerade sieben Jahre alt, als Jerome zum ersten Male in unser Haus kam. Man ließ mich mit ihm allein, damit wir uns anfreunden sollten. Jerome kam mit seinem widerlichen Lächeln geradewegs auf mich zu und kniff mich heftig in die Wange. Ich schrie so laut, dass die Erwachsenen herbeigeeilt kamen und wissen wollten, was geschehen war. Aber ich schämte mich, und Jerome beteuerte seine Unschuld, und … und die anderen … und mein Vater …“
    „Sie haben Jerome geglaubt und nicht dir? So war es doch?“, fragte Sir Edmund wütend.
    Julianna nickte kaum merklich und war froh, dass die Nacht den Mantel der Dunkelheit über ihre weiteren Worte legte.
    „Ich denke, Vater hätte mir gern geglaubt“, fuhr sie leise fort. „Aber es schmerzte ihn, dass wir uns nicht verstanden. Da er keinen eigenen Sohn hatte, nahm er Jerome an sein Herz und wollte nicht wahrhaben, dass er Fehler hatte. Ich aber wollte ihm wiederum Kummer ersparen, und so schwieg ich denn und ging Jerome so weit wie möglich aus dem Wege.“
    „Er ist der widerlichste Kerl, dem ich je begegnet bin“, murmelte Sir Edmund. „Das habe ich vom ersten Augenblick an erkannt.“
    „Vielleicht hätte ich meinem Vater doch alles berichten sollen“, sagte Julianna zögernd, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. „Aber als es dann noch schlimmer wurde, bekam ich vor Scham kein Wort mehr über die Lippen.“

    „Noch schlimmer? Meinst du …? Hat er etwa …?“
    „Nein, er hat nicht, obwohl er es oft genug darauf anlegte. Als ich vierzehn war, kam er in den Sommerferien nach Hause und sah mich mit gierigen Blicken an. Immer wieder versuchte er, mich in dunkle Ecken zu ziehen, unter meine Röcke zu fassen oder in den Ausschnitt …“
    Jetzt zitterte Julianna am ganzen Körper, sodass Sir Edmund sie fest an sich drücken musste, um sie zu beruhigen. Lange lagen sie so schweigend nebeneinander, und zum ersten Male seit vielen Jahren fühlte sich Julianna wirklich sicher.
    Als ihr Atem wieder ruhiger ging, fand sie auch die Kraft, ihre Geschichte zu Ende zu bringen. „Am Abend vor unserer Hochzeit hat er es zum letzten Male versucht“, flüsterte sie und fühlte sich dann nach der Schilderung der Einzelheiten wie von einer Zentnerlast befreit.
    „Dieser Schurke!“ Die Muskeln an Sir Edmunds Arm zuckten vor unterdrücktem Zorn. „Wenn ich bedenke, dass ich ihn an meinem Tisch sitzen ließ! Ich hätte ihn nach der Trauung hinauswerfen sollen.“
    Julianna lächelte unter Tränen. „Das ist zum Glück nun alles vorbei, dank Eurer Großzügigkeit. Und ich habe auch heute zum ersten Male wieder an ihn gedacht, seit ich hier in Abbot’s Leigh bin.“
    Die Bedeutung dieser letzten Feststellung konnte Sir Edmund sicherlich nicht ermessen, denn er wusste ja nicht, dass die Furcht vor Jerome jahrelang ihr Leben überschattet hatte. Nun jedoch war sie endlich von diesem quälenden Druck befreit und wusste, dass sie Sir Edmund unendlichen Dank dafür schuldete. „Aber nun wollen wir uns diese schöne Nacht nicht länger durch ein Gespräch über meinen Stiefbruder verderben“, fügte sie rasch hinzu.
    „Das hast du recht, meine Liebe.“ Sir Edmund überlegte kurz und wies dann zum Himmel. „Ich werde deiner erstaunlichen Bildung noch einige Kenntnisse in Astronomie hinzufügen. Also: dort drüben, das ist die Cassiopeia.“
    Julianna wischte sich heimlich über die Augen. „Die Cassiopeia? Das ist doch die Mutter der Andromeda?“, erkundigte sie sich eifrig.
    „Gewiss. Und dort“, er reckte den Arm weit empor, „ist ein Sternbild nach deinem Geschmack. Siehst du den hellen Stern? Es ist die Wega, der Hauptstern der Lyra oder auch der Harfe.“
    „Der Harfe?“ Angestrengt blickte Julianna in den Himmel. „Oh, ja, ich glaube, ich kann sie erkennen.“
    Bis weit in die

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