Lockende Versuchung
Laurence den Kopf in den Nacken. „Hast du Angst, ich nehme sie dir weg, so wie du sie Crispin weggenommen hast? Mein Lieber, ich besitze nicht diese Raffinesse. Ich mache dir natürlich keine Vorwürfe deswegen. Deine Handlungsweise ist nur zu verständlich, wenn man diese Augen sieht, diese Lippen, dieses wundervolle Haar …“
„Julianna hat noch mehr zu bieten als ihr hübsches Gesicht“, erwiderte Edmund erbost.
„Oh, du musst nicht denken, dass ich ihren anderen Reizen gegenüber blind bin.“ Laurence erhob sein Glas, als wolle er einen Toast ausbringen.
Nur mit Rücksicht auf den Familienfrieden versagte es Edmund sich, den Vetter zu ohrfeigen. „Ich bezog es auf ihren Verstand, auf ihren Charakter, auf ihre Liebenswürdigkeit. Aber solche Qualitäten einzuschätzen, bist du ja nicht in der Lage“, sagte er verächtlich.
„Gewiss, gewiss, wir jungen Leute sehen eben mehr auf Äußerlichkeiten. In deinem Alter schätzt man dann die weniger handgreiflichen Vorzüge. Wie alt bist du eigentlich? So um die fünfundfünfzig?“
„Ich werde demnächst vierzig“, versetzte Edmund wütend, „und bin also noch kein Methusalem.“
„Wirklich? Erst vierzig?“ Laurence zwinkerte ihm spöttisch zu. „Nun, ich werde es entsprechend hervorheben, wenn das Gespräch darauf kommt.“
Während die Männer ihren Portwein tranken, hatte die Countess Julianna im Salon neben sich auf ein zierliches Sofa gezogen.
„Mein reizendes Kind“, sie tätschelte Juliannas Hand, „da wir Frauen jetzt unter uns sind, müsst Ihr mir alles berichten. Sagt doch, wie kommt eine solche Unschuld mit einem Mann von Welt wie Edmund zurecht?“
Verwirrt von der Intimität dieser Frage, die zugleich den kritischen Punkt ihrer Scheinehe berührte, versuchte Julianna, Ahnungslosigkeit vorzutäuschen.
„Wie meinen Euer Ladyschaft das?“
„Oh, Liebste, nennt mich doch bitte Cousine Vanessa! Euer Ladyschaft klingt so ehrwürdig. Natürlich weiß ich, dass Ihr mir nie mein Alter vorhalten würdet.“
Aber du tust es bei mir ständig, dachte Julianna ärgerlich, und auch bei anderen.
Indes fuhr die Countess mit einem bedeutungsvollen Unterton fort: „Ich meine, hat er Euch die amourösen Geheimnisse enthüllt, die er im Fernen Osten kennengelernt hat? Wenn man Langston Carew Glauben schenken kann, so hat Euer Gemahl ja einen wahren Harem besessen. Nun, ich habe schon immer angenommen, dass unter dem asketischen Wesen, das Cousin Edmund der Welt zur Schau stellt, ein Meer von Leidenschaft brodeln muss.“ Sie seufzte sehnsüchtig.
Tagelang hatte Julianna hartnäckig gegen solche Vorstellungen angekämpft, und nun kam die verwitwete Countess of Sutton-Courtney und erweckte all ihre ungehörigen Gedanken wieder zum Leben. Verlegen und unsicher versuchte Julianna, eine direkte Antwort zu umgehen.
„Bedenkt doch bitte, Euer … ich meine, Cousine Vanessa …“, stammelte sie, „dass S… Edmund den ganzen Winter über krank gewesen …“
„Langston Carew macht die übermäßigen Anstrengungen während der Flitterwochen für den schweren Fieberanfall verantwortlich“, fiel ihr Vanessa ins Wort. „Aber jetzt macht Edmund schon wieder einen sehr munteren und männlichen Eindruck. Er sieht viel besser aus als in letzter Zeit.“ Sie streifte Julianna mit einem prüfenden Seitenblick. „Ihr müsst wissen, dass ich ihn immer als eine passable Möglichkeit betrachtet habe für den Fall, dass ich mich wieder zu verheiratenwünschte. Ihr habt Glück, mein kleiner Engel, dass ich mich grundsätzlich nicht an den Ehemännern meiner Freundinnen vergreife – sofern sie nicht zu unwiderstehlich sind.“ Genießerisch fuhr sie mit der Zungenspitze über ihre Lippen und lächelte dabei ein wenig boshaft.
Als die Herren sich wieder zu ihnen gesellten, lehnte sich Julianna einen Augenblick lang müde zurück. Vanessas unverhülltes Interesse an dem Mann Edmund Fitzhugh hatte nach ihrem Geschmack die Grenze des Erträglichen überschritten.
Glücklicherweise schlug Laurence zur weiteren Unterhaltung ein Kartenspiel vor, das Vanessa unaufhörlich mit ihren mehr oder weniger zweideutigen Neckereien würzte. Obwohl sie dem Kartenspiel keine große Aufmerksamkeit zu widmen schien, spielte sie stets treffsicher aus, während Julianna völlig genervt einen törichten Fehler nach dem anderen beging.
Schließlich gähnte Edmund demonstrativ und sagte dann: „Ich fürchte, wir müssen uns jetzt entschuldigen, wenngleich der Abend für Euch erst
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