Lockende Versuchung
begonnen hat, wie ich weiß. Ihr müsst uns bald in Abbot’s Leigh besuchen. Du bringst Leben ins jedes Haus, liebe Vanessa.“
Später dann in der dunklen Kutsche strich er sich erschöpft über die Stirn. „Mein Gott, ich hatte ja ganz vergessen, wie anstrengend diese Frau sein kann.“
„Du hast aber den Anschein gemacht, als fändest du ihre Gesellschaft höchst angenehm und aufmunternd“, versetzte Julianna spitz.
„Ich bitte dich, meine Liebe!“ Edmund schüttelte missvergnügt den Kopf. „Schließlich muss man ja ein Mindestmaß von Höflichkeit einhalten. Wie fandest du übrigens meinen Vetter?“
„Nun, Lord Marlwood sieht sehr gut aus und ist ein unterhaltsamer Gesellschafter. Ich fand auch eine große Ähnlichkeit mit Crispin bei ihm.“
Edmund schniefte geringschätzig. „Das einzige, was Laurence gelernt hat, ist, den Mund zu halten, wenn er nichts zu sagen hat. Niemand wird einen schweigsamen Mann für einen Einfaltspinsel halten. Und Vanessa?“
„Sie ist zweifellos die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Aber sie kann einen auch bis aufs Blut reizen.“ Juliannas Stimme bekam einen scharfen Klang. „Wenn sie noch ein Wort über mein Alter gesagt hätte, wäre ich davongelaufen.“
Edmund lachte leise. „Sie hat dieses Thema wirklich zu sehr strapaziert. Aber sie ist wirklich ein schönes Geschöpf, wenn auch auf eine irgendwie gekünstelte Art. Ich nehme allerdings an, dass sie sich ihrer dahinschwindenden Jugend bewusst ist. Es muss ziemlich niederschmetternd für eine Frau sein, wenn sie bemerkt, dass eine neue Generation hübscher Mädchen heranwächst.“ Nachdenklich fügte er hinzu: „Fast tut sie mir leid.“
„Spart Euer Mitleid für jene, die es brauchen“, erwiderte Julianna mit Cordelias Worten aus Shakespeares König Lear . „Wenn eine Dame reich, klug und schön ist, muss sie keinen anderen als sich selbst anklagen, wenn sie nicht glücklich ist.“ Nachdenklich fuhr sie fort: „Deine Cousine zeigt ein mehr als nur verwandtschaftliches Interesse an dir. Sie kommt mir vor wie die Katze vor dem Sahnetopf. Ich frage mich, warum sie dich nicht schon längst eingefangen hat.“
Wieder lachte Edmund und schüttelte dann den Kopf. „Nun, solange ich Junggeselle war, hatte sie kein Interesse an mir. Erst als Ehemann zieht sie mich nun in Betracht. Das ist so ihre Art – ihr Lieblingsspiel.“
Ihr Lieblingsspiel? dachte Julianna. Daran, verehrte Countess, werde ich mich bestimmt nicht beteiligen.
15. KAPITEL
Ein Geruch nach warmer Hefe, gemischt mit dem Aroma von Dill und Essig, lag über der Küche von Abbot’s Leigh. In Myrtle Tullys Herrschaftsbereich summte es wie in einem Bienenstock vor Geschäftigkeit. An dem großen Küchentisch schnitt Gwenyth Gurken in saubere Viertel, während an einer anderen Ecke Julianna eine weiße Teigmasse mit solcher Intensität durchwalkte, dass das Knetbrett zu knacken begann.
Vor ein paar Tagen war Edmund nach London zu seinem alten Freund General Oglethorpe gefahren, dem ein Militärgerichtsverfahren bevorstand. Der Gründer und spätere Gouverneur der Kolonie Georgia war ein Schulkamerad gewesen. Die beiden Knaben hatten sich erst getrennt, als der eine zur Armee ging und der andere zur Marine. Von diesem Zeitpunkt an hielten sie einen mehr oder weniger sporadischen Kontakt, der jedoch nie abriss. Als Edmund erfuhr, dass man Oglethorpe eine sehr fragwürdige Rolle bei dem Überfall der Spanier auf die Kolonie unterstellte, war er außer sich gewesen und hatte seinem Freund sofort seine volle Unterstützung bei der Abwehr der widersinnigen Anklagepunkte angeboten.
Etwas halbherzig hatte er Julianna vorgeschlagen, ihn nach London zu begleiten, doch sie hatte dankend abgelehnt. Sie würde ohnehin noch viel zu früh wieder in die Stadt zurückkehren müssen, hatte sie ihm erklärt. Bis dahin aber wollte sie jede nur mögliche Stunde in ihrem geliebten Abbot’s Leigh verbringen. In Wahrheit aber ging es ihr vor allem darum, einmal eine Zeit lang von Edmund getrennt zu sein, um die unwillkommenen Gefühle, die sie sehr beunruhigten, besser bekämpfen zu können. Außerdem würde wohl Vanessa Abbot’s Leigh nicht mehr ständig heimsuchen, wenn Edmund nicht anwesend war.
Während der vergangenen zwei Wochen waren sie des Öfteren mit den Bayards zusammengekommen – viel zu oft für Juliannas Geschmack, denn die Countess hatte Edmund völlig mit Beschlag belegt. Als begeisterte Reiterin gefiel ihr Juliannas Platz auf Edmunds
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