Lockende Versuchung
Julianna, bereitwillig auf den Vorschlag eingehend. „Ich glaube nämlich, Jerome hat all die Zeit, da er angeblich die Geschäfte geführt hat, meinen Vater schmählich betrogen. Dafür muss er bezahlen … und auch für alles andere.“
Edmund wiegte bedenklich den Kopf. „Als Haupterbe deines Vaters wird es sehr schwierig sein, ihn vor die Schranken des Gerichts zu bringen.“
„Zweifellos“, räumte Julianna ein. „Doch ich dachte, dass er vielleicht auch andere Leute hintergangen hat, wenn er schon Papas Geld vergeudet und sich an seinem Eigentum vergriffen hat.“
Edmund nickte. „Das halte ich durchaus für möglich. Doch es wird schwer werden, den Beweis dafür zu führen. Fremden gegenüber ist er bei seinen Machenschaften sicherlich noch vorsichtiger gewesen.“
„Könnten wir ihn nicht auf frischer Tat ertappen? Biete ihm an, eine bestimmte Summe gewinnbringend für dich anzulegen, und dann warten wir ab, ob er zugreift.“
„Keine schlechte Idee, doch das dauert mir zu lange“, widersprach Edmund. „Ich möchte dem Schurken so schnell wie möglich den Prozess machen, schon damit er dir nicht länger drohen kann. Außerdem befürchte ich, dass meine schauspielerischen Talente nicht mehr ausreichen werden, um ihn von meinem Zutrauen zu überzeugen, seit du mir seinen wahren Charakter enthüllt hast.“
Julianna seufzte bedrückt und versank in tiefes Nachdenken. Eine Zeit lang herrschte Schweigen in der Kutsche. Doch als die Außenbezirke Londons in Sicht kamen, leuchtete plötzlich ein triumphierender Glanz in Juliannas Augen auf, den Edmund von ihren Schachpartien nur zu gut kannte. Er bedeutete immer: Schach dem König!
„Papas Testament!“, rief sie. „Jerome hat mich mit der Behauptung, meine gesamte Mitgift sei für die Bezahlung der Schulden aus dem Bankrott meines Vaters verwendet worden, zu der überstürzten Heirat gezwungen.“
Ärgerlich schlug sich Edmund an die Stirn. „Natürlich! Es war wahrscheinlich eine List, um dich von der Erbschaft auszuschließen. Wenn es in Wirklichkeit gar keinen Bankrott gegeben hat und auch keine echten Gläubiger, dann kannst du ihn auf Herausgabe deines Erbteiles verklagen.“ Er überlegte einen Augenblick. „Wir sollten uns vielleicht der Unterstützung deines Vetters Francis versichern …“
„Und ich?“, unterbrach Julianna ihn aufgeregt. „Was kann ich dabei tun?“
„Du hast den Plan entworfen, meine kluge Schachstrategin“, erwiderte Edmund lächelnd. „Ist das nicht genug?“
„Nein.“ Abweisend runzelte Julianna die Stirn, die Edmund so gern mit Küssen wieder geglättet hätte. „Nein, ich muss dabei auch eine Rolle spielen. Kannst du das nicht verstehen, Edmund? Ich muss Jerome beweisen – und auch mir selbst – dass ich kein Kind mehr bin und er mich nicht länger erpressen kann.“
„Das begreife ich gut“, erwiderte Edmund, „und ich verspreche dir eine Rolle in diesem Stück, soweit du sie übernehmen kannst, ohne sein Misstrauen zu wecken.“
Julianna nickte dankbar und warf dann einen Blick durch das Fenster auf die etwas ruhigeren Durchfahrtsstraßen von Westminster. „Ist es wirklich erst sechs Monate her, dass wir nach Surrey abgereist sind?“, fragte sie lächelnd. „Wenn ich bedenke, wie du damals gegen diesen Plan gewettert hast, und dabei war Abbot’s Leigh doch deine Rettung …“
Edmund schnitt eine Grimasse. „Frauen! Ist es nicht genug, dass sie immer recht haben und sich wunder was darauf einbilden? Müssen sie es uns auch noch ständig unter die Nase reiben? Aber ich glaube, Abbot’s Leigh ist nur zum Teil der Grund für meine Genesung. Der eigentliche Dank gilt dir, Julianna.“ Er nahm ihre Hand und drückte sie zart.
Juliannas Lächeln wich dem Ausdruck eines jähen Schrecks. Hastig zog sie die Hand zurück. „Oh, das war doch eine Selbstverständlichkeit“, murmelte sie und wies dann erleichtert nach vorn. „Schau, wir sind endlich zu Hause.“
Als er Fitzhugh House erblickte, erinnerte Edmund sich auf einmal an die Wünsche, die er gehegt hatte, bevor Julianna in sein Dasein getreten war. Es waren Gesundheit und ein sinnvoller Lebensinhalt gewesen. Nun hatte seine liebreizende junge Frau nicht nur diese Wünsche erfüllt, sondern darüber hinaus neue, sehr drängende in ihm geweckt.
„Schau, wir sind endlich zu Hause.“ Noch während diese Worte über Juliannas Lippen kamen, wurde es ihr bewusst, dass nur Abbot’s Leigh ihr Zuhause war und immer bleiben würde.
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