Lockende Versuchung
Bedeutet schwere Entscheidung, wichtig für ganzes Leben. Folgt dem Herzen.“
Bei diesen Worten rieselte ein kühler Schauer über Juliannas Rücken. Sie zog rasch die Hand weg und verließ eilends das Zelt. Als Edmund sich später nach den Weissagungen der Alten erkundigte, zuckte Julianna nur die Schulter und erwiderte leichthin: „Nun ja, das Übliche. Reichtum. Langes Leben. Was die Leute gern hören wollen.“
Zu sich selbst aber sagte sie zweifelnd: Dem Herzen soll ich folgen? Dieses launische, wankelmütige Ding war wohl kein guter Führer.
Als die Kutsche an Bayard Hall vorüberrollte, geriet sie auf der schlammigen, ausgefahrenen Straße in Schlingern. Das prächtige Gebäude stand seit geraumer Zeit wieder leer – genauer gesagt, seit jenem Nachmittag, da Lord Marlwood sich so schnell wie möglich vom Abbot’s Tor verdrückt hatte und kurz darauf Hals über Kopf abgereist war. Die verwitwete Countess of Sutton-Courtney war von ihrem Ausflug in die Stadt gar nicht erst zurückgekehrt.
Edmund stellte die Füße in den Rindslederstiefeln auf die heißen Ziegelsteine, die Mr Brock vorsorglich auf den Boden der Kutsche hatte legen lassen. In den letzten Tagen war es empfindlich kalt geworden, und in der Luft lag schon ein Hauch des nahenden Winters. Auch Edmunds Beziehungen zu Julianna hatten sich merklich abgekühlt seit jenem Ereignis an derKlosterruine, da er seine wahren Gefühle ihr gegenüber zu erkennen gegeben hatte. Diese Veränderung traf ihn bis ins Mark.
Früher einmal hatte sich Julianna bei ihm in Sicherheit gefühlt, hatte ihm mehr vertraut als ihrem geliebten Vater, der dieser Schlange von einem Stiefsohn sein Haus geöffnet hatte, und auch mehr als Crispin, der seinem Abenteuerdrang gefolgt war, ohne für ihr Wohlergehen zu sorgen. Nun aber hatte sie die Enthüllung seiner Leidenschaft wohl so in Angst versetzt, dass sie sich nach Möglichkeit fern von ihm hielt.
Um ihr eine Freude zu machen, war er auf den Gedanken gekommen, die alte Tradition des Erntefestes in Abbot’s Leigh wieder aufleben zu lassen. Glückstrahlend hatte Julianna ihm die Arme um den Hals geschlungen, ihre Wange an seine Schulter geschmiegt und gesagt: „Ach, Edmund, du bist doch der netteste Mensch auf der Welt. Einen Wunsch erfüllen, wenn man darum gebeten wird – das kann jeder. Aber du erfüllst die Wünsche schon, noch ehe man dich bittet.“ Doch dann war sie rasch wieder zurückgewichen, sicherlich aus Angst vor seinen unerwünschten Gefühlen, und Edmund hatte verlegen jeden Dank mit dem Hinweis abgewehrt, dass es sich doch nur um eine Bagatelle handelte.
Julianna hatte sich mit Eifer und Begeisterung in die Vorbereitungen gestürzt, ließ die Möbel aus dem großen Salon entfernen und für den Tanz Sand auf die Dielen streuen. Sie engagierte Musikanten aus der Umgebung, bestellte Delikatessen für das kalte Büffet und half in der Küche bei der Fertigstellung der Platten und Salate.
An dem Festabend dann führte Edmund seine junge Gemahlin mit stolz geschwellter Brust zum ersten Tanz und merkte dabei überrascht, dass er ganz und gar vergessen hatte, was für ein begeisterter Tänzer er einmal gewesen war. Eine Gavotte mit einer graziösen Partnerin hatte er früher allemal den inhaltslosen, höflichen Unterhaltungen auf gesellschaftlichen Veranstaltungen vorgezogen.
Bei dem fröhlichen Reigen zu der alten Volksweise vom blühenden Ginster hatte Julianna ihm einen verschmitzten Blick zugeworfen und atemlos ausgerufen: „Sir Edmund Fitzhugh, Ihr habt mir eine Eurer hervorstechendsten Eigenschaften vorenthalten! Ich hatte ja keine Ahnung, was Ihr für eine flotte Sohle aufs Parkett legen könnt.“
Als sie dann im Verlaufe des Abends in der Gästeschar von Arm zu Arm glitt und sich auch nicht zu gut war, um mit einem beleibten Großbauern der Umgebung ein paar Runden zu drehen, begnügte sich Edmund damit, sie wohlgefällig zu beobachten und ihr hin und wieder vergnügt zuzublinzeln. Und er fand dabei in der Gewissheit, dass sie die wahre Herrin von Abbot’s Leigh war, auch wenn sie nie seine Gemahlin im eigentlichen Sinne sein würde, Trost und Ruhe.
Als die Kutsche über die alte Landstraße kurz vor Guildford ratterte, räusperte sich Edmund eingehend und sagte dann: „Da wir noch genügend Zeit haben und ungestört sind, könnten wir vielleicht einmal darüber sprechen, was wir in Bezug auf deinen Stiefbruder unternehmen sollten.“
„Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, erwiderte
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