Lockende Versuchung
weiterer Gänge schien Vanessa äußerst zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen zu sein, und auch Julianna musste einräumen, dass die Auswahl, die die Countess getroffen hatte, doch passender war als die Kleider und Accessoires, die sie sich selbst ausgesucht hätte.
Nachdem sie sich in der Halle von Vanessa verabschiedet hatte, eilte sie in ihr Zimmer, um rasch den Umhang abzulegen, denn sie konnte es kaum erwarten, Edmund von dem Verlauf des Nachmittags zu berichten. Doch als sie sich dem Salon näherte, in dem der Tee serviert wurde, hielt sie der Klang von Stimmen vor der Schwelle zurück.
„… mit Clothilde einig, dass wir aus unserer kleinen Julianna eine echte Lady machen werden.“
Warum war die Countess immer noch im Hause?
„Meine Frau ist schon richtig so, wie sie ist“, erwiderte Edmund. „Mische dich also nicht zu viel ein, liebe Vanessa.“
„Selbstverständlich nicht, Edmund, Liebster. Nur ein bisschen Politur.“
„Eine Lilie anmalen …“
„Bietet dir dieses ätherische Geschöpf wirklich Befriedigung?“, unterbrach Vanessa ungeduldig seinen Versuch, ein bekanntes Gedicht zu zitieren. „Ich habe immer gedacht, ein Mann wie du bewundert mehr die reifere Schönheit.“ Ihre Stimme war leiser geworden und sehr verlockend. Julianna brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie nahe die Countess jetzt bei Edmund stand – fast unwiderstehlich nahe.
Doch Edmunds Antwort lautete ganz anders, als die beiden Frauen, jede auf ihre Weise, erwartet hatten. Leicht verärgert, wenn auch immer noch höflich, sagte er: „Du kannst aufhören mit diesem Theater, Vanessa, zumal du ohnehin kein Publikum hast, das dir applaudieren kann. Der einzige Grund für dein lächerliches Gebaren dürfte die absolute Gewissheit sein, dass ich dich nie beim Wort nehmen werde. Du würdest ansonsten nämlich gar nicht schnell genug das Weite suchen. Das wissen wir beide nur zu gut.“
Die Countess hatte sich offensichtlich inzwischen von ihm abgewandt, denn ihre leise Antwort: „Dann weißt du vielleicht weniger, als du glaubst, Edmund Fitzhugh“, war für Julianna deutlich vernehmbar, obwohl sie ohne Zweifel weder für sie noch für Edmund bestimmt gewesen war.
Edmund hatte sie mit Sicherheit nicht wahrgenommen, denn er fuhr in etwas schärferem Tone fort: „Im übrigen ist mir dieses kindische Geflirte lästig. Es ist für meine Frau unerfreulich und einer Bayard unwürdig. Du hörst deshalb von Stund an damit auf. Hast du mich verstanden?“
Ein Augenblick lastender Stille wurde durch ein lautes Klatschen abrupt beendet.
„Es gibt eine Grenze für das, was ich mir bieten lasse, Edmund – selbst von dir“, erklang die zischende Stimme Vanessas. Dann ertönten hastige Schritte auf dem Marmorfußboden der Halle, und die schwere Eingangstür fiel krachend ins Schloss.
Als Julianna durch die Seitentür des Salons spähte, sah sie, wie Edmund sich die Wange hielt, und hörte seine durch die Zähne gepressten Worte: „Und ich von dir.“
19. KAPITEL
Einige Tage danach, die späte Herbstsonne stand schon unmittelbar über dem Horizont, betrat Edmund den Gesellschaftsraum des Chapterhouse. Mit der aus seiner Soldatenzeit überkommenen Wachsamkeit sah er sich um und erinnerte sich dabei daran, dass er in eben dieser Räumlichkeit einmal Jerome Skeldon dazu gebracht hatte, in seine Heirat mit Julianna einzuwilligen. Wenn er Glück hatte, würde seinem neuesten Schachzug ebensolcher Erfolg beschieden sein.
In dem großen Kamin an der Stirnseite brannte ein einladendes Feuer, und der würzige Duft von frisch gebrühtem Kaffee und heißer Schokolade erfüllte, zusammen mit den dicken Tabakrauchschwaden, die Luft. Edmund bahnte sich den Weg zwischen den zwei langen Tischen hindurch, an denen gruppenweise Männer beieinandersaßen, ihre Pfeife rauchten oder Kaffee tranken und sich in gedämpftem Tone unterhielten. Einige hatten sich auch in die neuesten Ausgaben der Tageszeitungen vertieft. Unter den Besuchern erkannte Edmund zu seiner Genugtuung auch einige Kirchenpatrone und verschiedene Gentlemen aus seinem Bekanntenkreis. Keiner von ihnen würde wissen, wer der Mann war, mit dem er sich hier verabredet hatte.
„Bei meinem Leben, Sir Edmund Fitzhugh, ich hätte Euch kaum erkannt.“ Mr Miller, der Buchhändler, drückte Edmund erfreut die Hand. „Ich habe schon gehört, dass Ihr gesund und munter aus Surrey zurückgekehrt seid, und schätze mich glücklich, es durch eigenen Augenschein
Weitere Kostenlose Bücher