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Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Titel: Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Essling
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der amerikanischen Armee. Da hat er aber das letzte Mal fotografiert. Es kamen nämlich zwei Wachtposten, die nahmen Herrn Weiß mit. Er schärfte uns noch ein, dass wir uns nicht von der Stelle rühren sollten, bis er zurück sei. Freundlicherweise rief einer der Soldaten noch einen dritten Kameraden, der sollte dann uns bewachen. So konnte sich Herr Weiß beruhigt abführen lassen.
    Der schwer bewaffnete Soldat grinste uns freundlich an. „Not Angst“, sagte er „kommen wieder!“ Ich glaube eher, die meisten von uns hatten gerade Angst, dass er wiederkäme. Aber aufregend war’s schon.
    Uns war natürlich allen klar, dass er ein Spion sein musste. Gisela Bollmann hatte da Erfahrung, sie hatte mal einen Spionagefilm gesehen. Deshalb sagte sie jetzt auch: „Na klar, dass er uns bei dem Wetter einen Ausflug machen lässt. Erstens hat er gehofft, dass die Amis nicht erkennen können, dass er fotografiert. Zweitens benutzt er uns als Tarnung.“
    „Was die wohl mit ihm machen werden?“ fragte Paul interessiert. „Sie verhören ihn nach Strich und Faden“, antwortete Harald, der ja in so Sachen einschlägige Erfahrungen hatte. „Sicher wird er auch gründlich gefilzt“, meinte Rita. „Dann muss er sich bestimmt ganz nackt ausziehen.“ Rita wurde auf einmal ganz rot. Vielleicht wurde ihr gerade bewusst, was sie gesagt hatte, oder auch bei der Vorstellung eines nackten Lehrers. „Ich kann mir seinen Wabbelbauch und die dürren Beine auch so ganz gut vorstellen“, sagte ich, und alle lachten.
    Plötzlich fiel mir was ein. Mein Vater hatte etliche Artikel über den endlosen Rosenbergprozess in New York vorgelesen. Das waren auch Spione. Die Erwachsenen regten sich über die Prozessführung furchtbar auf. Ihnen taten Julius und Ethel Rosenberg leid. Aber das nützte nichts.
    Die Rosenbergs wurden zum Tode verurteilt. Viele Leute, auch in Amerika, forderten ihre Begnadigung.
    Meine Mutter meinte, die Juden hätten doch weiß Gott genug gelitten. Es wäre doch ein Akt der Menschlichkeit, die Rosenbergs am Leben zu lassen. Die Amerikaner könnten sich diese Großmut ruhig leisten. Jetzt warten sie auf den Elektrischen Stuhl. Nach all dem, was ich so mitgekriegt habe, tun mir die Leute irgendwie leid. Obwohl ich sie gar nicht kenne, kann ich mir doch vorstellen, dass es furchtbar sein muss, auf die eigene Hinrichtung zu warten.
    „Wenn die Amis rausbekommen, dass er ein Spion ist, kommt er auf den Elektrischen Stuhl.“ „Meinst Du wirklich, Ulrike?“ Alle reden sie jetzt durcheinander. Wir sind hin- und hergerissen. Einerseits wären wir Herrn Weiß endlich los und selbst berühmt, weil wir ja die Schulklasse des Spions von Kattenbach sind. Andererseits soll man anderen auch nicht den Tod wünschen. Ob die Amerikaner ihn überhaupt noch mal raus lassen, oder ob er gleich vor Gericht kommt? Wenn er für Russland spioniert hat, muss er doch massenhaft Geld bekommen haben. Davon habe ich aber nichts gemerkt. Schließlich hat er nach wie vor seine zwei dunkelgrauen Anzüge abwechselnd an.
    Wenn ich mal viel Geld verdiene, kaufe ich mir was Schönes und meiner Mutter einen Faltenrock.
    Unsere Stimmung war auf dem Höhepunkt. Da kam unser Lehrer in völlig erhaltenem Zustand zurück. Er verzog die Lippen, was bei ihm ein Lächeln darstellen soll. „So Kinder, es hat ja wohl kaum noch Sinn, nach Auenheim zu laufen. Diese Sache hat soviel Zeit gekostet, dass wir am besten jetzt heimgehen. Leider haben sie meinen Film beschlagnahmt. Aber keine Sorge, der Ausflug wird nachgeholt. Dann fotografiere ich Euch eben noch mal.“
    „Wieso sind Sie nicht verhaftet worden?“ hat Gisi gefragt. „Warum sollte ich verhaftet werden?“ Er tat ganz entrüstet. „Na, wegen Spionage doch“, rief Edgar Mohr. „Sie haben doch das Munitionslager der Amis fotografiert!“
    „Was habe ich? Also jetzt schlägt’s dreizehn! Hört mit dem Unsinn auf. Auf geht’s, kommt.“
    Wir haben weiterhin ganz normal Schule. Herr Weiß ist auch ganz normal zu uns. Er wirft wie immer mit seinem Schlüssel und schwingt sein Stöckchen. Aber wir trauen der ganzen Sache nicht so. Schließlich kann das ja alles Tarnung sein. Die Klasse beobachtet ihn ganz genau, sogar die Streber und die braven Schüler.
    Barbara Martin hat so nebenbei mitbekommen, wie Herr Weiß Herrn Löwer von seiner Festnahme erzählt hat. Er sagte ihm, die Wachtposten hätten lediglich seine Personalien überprüft und zur Sicherheit den Film in seiner Kamera beschlagnahmt. Es

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