Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?
ging ganz glatt, wir kamen unbehelligt heim, alle.
Und da kam das Donnerwetter!
Es kam nicht vom Himmel, es kam von unseren Eltern! Sie wussten, dass wir ausgerissen waren, die andern waren nämlich schon um ein Uhr vom Ausflug zurückgekommen. Natürlich hatte der Philipp nichts Eiligeres zu tun, als zu unseren Eltern einen Klassenkameraden zu schicken, der uns verpetzte.
Naja, nun war es halb sechs. Die Fenster im Haus waren alle geöffnet, klar, wir hatten ja auch schönes Sommerwetter. Deshalb hörte ich von oben Frau Mohr ihren Edgar anbrüllen und hier unten meinen Vater mich. Und das auch noch gleichzeitig.
Als mein Vater fertig war, redete meine Mutter „vernünftig“ mit mir. Das ist auch nicht angenehm. „Sieh mal, Ulrike (oje, Ulrike), so etwas kannst Du nicht machen. Herr Weiß trägt doch die Verantwortung für Euch. Du weißt doch, was Verantwortung bedeutet?“ Ich nickte, dabei tapfer gegen den Kloß in meinem Hals ankämpfend. „Wenn er diese Aufsichtspflicht versäumt, macht er sich unter Umständen strafbar. Kannst Du Dir nicht vorstellen, dass er sich furchtbar erschrocken hat, als er merkte, dass sich gleich fünf seiner Schüler davongemacht hatten?“
„Er hat sich bestimmt große Sorgen gemacht. Und wir natürlich auch“, fügte sie hinzu.
„Dir wollte ich ja gar keine Sorgen machen“, sagte ich etwas trotzig. „Aber wozu der uns immer zwingt, wir hatten einfach genug! Stundenlang durch die Straßen rennen, in einer Stahlgießerei von glühender Lava bedroht zu werden und dann noch was weiß ich alles. Wir wollten einfach heim.“
„So? Kannst Du mir dann erklären, wieso die andern schon zum Mittagessen zuhause waren und Ihr erst jetzt?“ Das konnte ich nicht, weil es einfach zu kompliziert gewesen wäre, Mama die ganze Problematik im Kornfeld zu erklären. Deshalb sagte ich nur: „Ich will so was nie mehr tun. Es hat ja letzten Endes doch nichts gebracht außer Unbequemlichkeit und Ärger!“
Dann kamen die Tränen, weil mein Herz vor Reue überfloss.
Der Ärger hatte aber erst angefangen.
Als wir am nächsten Morgen in die Schule kamen, stand da ein Vierertisch bereit, aber mit fünf Stühlen dran. Herr Weiß lächelte freundlich. Dabei flitzten seine Schweinsäuglein hinter den dicken Brillengläsern hinterhältig hin und her. Mit stummer Gebärde wies er uns Ausreißsündern einen Platz an dem Sondertisch zu.
Da saßen wir. Während der Unterricht ganz normal weiterging, das heißt, auf Lehrer Weiß Weise normal, wurden wir vollkommen übersehen. Selbst wenn sich einer von uns meldete, was ja sonst nicht häufig vorkam, nahm Herr Weiß überhaupt keine Notiz von uns. Und der Rest der Klasse starrte uns an, als wären uns über Nacht Hörner gewachsen. Wir wussten nicht, wie wir die Zeit rumbringen sollten, und lächelten uns gegenseitig verschwörerisch zu. Naja, es sollte verschwörerisch sein, aber eigentlich sah es eher aus wie ein dummes Gegrinse.
Nach Schulschluss bedeutete Philipp uns wieder mit den Gebärden eines Taubstummen, sitzen zu bleiben. Als alle andern draußen waren, schloss er die Tür ab. Dann stellte er sich an die Tafel und schrieb darauf: „Ich darf meine Klasse während eines Ausflugs nicht verlassen!“ „Hundertmal schreiben!“
Herr Weiß setzte sich an seinem Pult und verzehrte genüsslich seine Mahlzeit. Danach gönnte er sich ein Verdauungsschläfchen. So wurde unser stiller Fleiß nur durch sein Schnarchen unterbrochen. Nach zwei Stunden waren wir endlich fertig, in jeder Hinsicht.
Ich wusste jetzt jedenfalls: „Ich darf meine Klasse während eines Ausflugs nicht verlassen!“
Lebendige Zahlen
Ich rechne nicht besonders gern. Man muss dabei so angestrengt denken und das liegt mir nicht. Aber es gibt ja so viele Arten, wie man auch so die Rechenstunde rumkriegt. Aber im Moment ist die Rita krank und ich sitze allein an meinem Tisch. Also muss ich mich auch alleine unterhalten.
Da kann man nicht Galgenmännchen spielen, aber man kann durchaus was mit Zahlen anfangen, zumal, wenn das Rechenheft vor einem liegt.
Die letzten Aufgaben habe ich nicht gemacht, weil ich keine Lust dazu hatte. Anscheinend hat Herr Weiß auch vergessen, was wir aufhatten, denn er hat nicht nachgeguckt.
Der Lehrer steht an der Tafel und erklärt uns so widerliche Teilrechnungen. Ich male mir dabei die Zahlen von null bis neun in die letzte Seite meines Heftes. Und, siehe da, die Zahlen werden lebendig, das heißt, ich mache sie lebendig. Ich
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