Lockruf der Finsternis
Stab der Zeit schlage.«
Sie warf ihm einen neckischen Blick zu. »Ich könnte mir viel bessere Dinge vorstellen, die ich mit dir und deinem Stab machen könnte, als mich zu schlagen, Baby.«
Sin gab einen gequälten Laut von sich. »Du liebe Güte, unsere Wortspiele werden aber auch immer schlechter. Ich ergebe mich. Rette mich, ehe meine IQ-Punkte den Bach runtergehen.«
»Na schön, du Spaß-Vampir. Ich werde meine Schriftrolle mit nach drüben nehmen und mit mir selbst spielen.«
»Spaß-Vampir? Was heißt das?«
»Dass du den ganzen Spaß aus meinem Leben saugst.«
Sin schüttelte den Kopf. »Du hast doch wirklich die interessantesten Bezeichnungen für die Dinge.«
»Ja, aber fällt dir auf, dass meine kreativ sind, anders als der originell benannte Stab der Zeit?«
Er ignorierte sie, breitete die erste Schriftrolle aus und begann zu lesen.
Xypher kam herein und beteiligte sich an der Suche. Die Zeit schien sich ewig hinzuziehen, während sie eine Zeile nach der anderen entzifferten und keinerlei Hinweise fanden. Sin hatte vergessen, wie unglaublich weitschweifig und langweilig seine Leute geschrieben hatten.
Verdammt, man musste sich nur mal vorstellen, was ein guter Lektor mit der Geschichte von Gilgamesch gemacht hätte …
Er war kurz davor, aufzugeben, als Xypher von seiner Seite des Bettes zurücktrat. »Ich hab’s.« Er hielt die Schriftrolle hoch und zeigte ihnen ein Bild vom Stab. Er sah aus wie ein Dolch mit einer schiefen Klinge.
Sin nahm die Rolle und schaute sie sich genauer an. Er erinnerte sich vage, diesen Gegenstand vor vielen Jahrhunderten einmal gesehen zu haben. »Die Frage ist jetzt: In welches Haus hat er ihn gelegt?«
Xypher zuckte mit den Schultern. »Er hat gesagt, du weißt Bescheid.«
Und in dieser Sekunde wusste Sin es. Es war wirklich genial, und es war der einzige Ort, den Zakar gemeint haben könnte. »Ishtars Grab.«
Kat wurde blass. »Was?«
Sin legte die Schriftrolle zur Seite. Er fühlte sich schlecht bei dem Gedanken, dass er wieder dorthin gehen sollte. »Es ist der einzige sichere Ort. Kein Gallu würde jemals auf die Idee kommen, dahin zu gehen. Er liegt sehr versteckt – nicht einmal die neugierigsten Archäologen würden ihn je finden können. Zakar muss den Stab dort versteckt haben, als er die Dimme das letzte Mal eingeschlossen hat. Es ist der einzige Ort, der einen Sinn ergibt.« Er trat einen Schritt zurück und wollte los.
»Warte«, sagte Kat und fasste seine Hand, »ich komme mit dir.«
Er schüttelte den Kopf. »Kat …«
Der ernste, entschlossene Blick, den sie ihm zuwarf, rührte und wärmte ihn. »Du musst nicht allein dorthin gehen.«
Er hätte mit ihr gestritten, aber sie hatte vollkommen recht. Es war der allerletzte Platz, an dem er ohne sie sein wollte, und das wusste er. »Danke.« Er verschränkte seine Finger mit ihren.
Sie neigte den Kopf, und dann versetzte er sie beide in die Sahara in eine versteckte Höhle, die von ewig wandernden Sanddünen verborgen war und von einem Bannspruch bewacht wurde, der vor den menschlichen Augen verbarg, was die Höhle enthielt.
Hier hatte Sin seine Tochter zur Ruhe gebettet.
Kat zögerte, als sie in der tiefen, dunklen Höhle standen. Sie konnte die Geräusche von Nagetieren und Insekten hören, die vor ihnen flohen, und hoffte, dass diese Tiere nicht näher kommen würden.
Sin hielt die Hand über den Kopf, und es erschien eine Fackel, die ihren Weg beleuchtete. Kat war sehr erleichtert, als sie sich umschaute und keine ekligen Tiere sah, die auf sie zu oder von ihnen wegrannten – sie hasste Ungeziefer.
Aber sie war von der Schönheit dieses Ortes wie bezaubert. Die Wände um sie herum waren mit Einlegearbeiten verziert und zeigten Kinder, die an Brunnen spielten, und Wild, das durch einen Wald lief. Ein Brunnen aus schwerem Gold stand in einer Ecke. Auf der einen Seite saß ein Rabe, ein kleines Mädchen auf der anderen. Sie schaute in das Becken und versuchte, ihr Spiegelbild zu erhaschen.
»Wie wunderschön!«
Sin schluckte, und sie konnte spüren, wie eine schreckliche Welle der Trauer ihn überwältigte. »Ishtar hat es als Kind geliebt, an Brunnen und mit Tieren zu spielen.« Er schwieg und betrachtete eine Szene: Ein kleines Mädchen mit einem Schmetterling auf der Schulter fütterte mit der einen Hand ein Rehkitz und mit der anderen einen Schakal. Er legte die Hand auf das Bild, und sie sah die Tränen in seinen Augen. »Genau so habe ich sie eines Tages gefunden, als sie vier
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