Lockruf der Gefahr - Lockruf der Gefahr - Black Hills
letzte Nacht schon kompliziert genug war, nur noch mehr verkomplizieren.
Aber das war allein ihre Schuld, gestand sie sich ein.
In einem Punkt hatte er heute Morgen allerdings recht gehabt: Sie musste sehen, wie sie damit klarkam.
Warum hatte sie immer noch nicht diese Liste gemacht?
Sie blieb vor dem Tigergehege stehen. Boris lag vor dem Eingang seiner Hütte, die Augen halb geschlossen. Sein Schwanz schlug träge hin und her, und Lil sah die gespannte Aufmerksamkeit in den zu schmalen Schlitzen zusammengezogenen Augen.
»Du bist nicht mehr böse auf mich, oder?« Lil lehnte sich an das Geländer und sah, wie Boris’ Ohren zuckten. »Ich musste es tun. Ich wollte nicht, dass dir etwas zustößt oder anderen deinetwegen etwas zustößt. Du kannst nichts dafür, Boris, aber verantwortlich wären wir trotzdem.«
Boris ließ ein Knurren hören, das wie eine widerwillige Zustimmung klang. Lil lächelte. »Du bist schön. Ein schöner, großer Junge.« Lil seufzte. »Ich fürchte, auch meine Pause ist vorbei.«
Sie richtete sich auf und sah zu den Bäumen, hinauf in die Berge. An so einem schönen Tag, dachte sie, schien die Welt vollkommen in Ordnung zu sein.
Er kaute auf seinem zweiten Kuchenriegel. Er konnte sich von der Natur ernähren, sah aber nicht ein, warum er sich nicht ab und zu etwas gönnen sollte. Außerdem hatte er die Packung mit den süßen Snacks auf einem Zeltplatz mitgehen lassen. So gesehen hatte er sich ebenfalls aus der Natur bedient. Er hatte auch noch eine Tüte Chips und ein Sixpack Heineken mitgenommen.
Er hatte sich auferlegt, nur alle zwei Tage ein Bier zu trinken. Ein Jäger durfte nicht zulassen, dass sein Gehirn durch Alkohol benebelt wurde - nicht einmal für eine Stunde. Deshalb trank er das eine Bier auch stets vor dem Schlafengehen.
Der Alkohol war sein wunder Punkt gewesen, mittlerweile konnte er das zugeben. So wie er der wunde Punkt seines Vaters gewesen war. Ganz so, als wäre sein Volk dazu verdammt. Dabei war der Alkohol nur eine weitere Waffe des weißen Mannes.
Der Alkohol hatte ihn in Schwierigkeiten, mit dem Gesetz des weißen Mannes in Konflikt gebracht.
Aber er liebte den Geschmack eines kühlen Bieres. Er würde sich keine Entbehrungen auferlegen, sondern sich nur beherrschen.
Das hatte er sich selbst beigebracht. Sein Vater hatte ihm viel gezeigt - aber Selbstbeherrschung war nicht dabei gewesen.
Alles war eine Frage der Selbstbeherrschung, dachte er. Auch, die Camper am Leben zu lassen. Es wäre kinderleicht gewesen, sie zu töten, eine Verschwendung seines Könnens. Er hatte überlegt, drei der vier zu töten und dann Jagd auf den Letzten zu machen.
Es konnte nicht schaden, ein wenig zu üben.
Aber wenn er das Leben von vier Campern ausgelöscht hätte, würde es in den Bergen bald nur so wimmeln von Polizisten und Rangern. Nicht, dass er ihnen nicht entkommen konnte, so wie es seine Vorväter all die Jahre getan hatten. Eines Tages würde er seinen persönlichen Rachefeldzug antreten und nach Lust und Laune jeden jagen und töten, der dieses Land schändete.
Eines Tages würde man seinen Namen mit Angst und Ehrfurcht im Munde führen.
Aber vorher hatte er Wichtigeres zu tun, Dinge, die nicht ganz so leicht waren.
Er holte seinen Feldstecher hervor und suchte das Reservat ab. Seine Brust war immer noch stolzgeschwellt wegen der Wachtposten, die nachts überall postiert waren.
Nur wegen ihm.
Die Beute witterte und fürchtete ihn. Nichts, was er bisher getan hatte, hatte ihm solche Befriedigung verschafft.
Wie einfach, wie aufregend wäre es gewesen, sie alle zu töten. Sich so lautlos zu bewegen wie ein Gespenst und
einem nach dem anderen die Kehle durchzuschneiden, während ihr warmes Blut seine Hände tränkte.
All das Wild in einer einzigen Nacht zu erlegen.
Und wie hätte er triumphiert, wenn sie am nächsten Morgen aus ihrer Hütte gekommen wäre und das von ihm angerichtete Blutbad entdeckt hätte!
Wäre sie schreiend vor Angst davongelaufen?
Er liebte es, wenn sie schreiend davonrannten. Aber noch mehr liebte er es, wenn sie keine Luft mehr holen konnten, um zu schreien.
Aber er hatte die Selbstbeherrschung nicht verloren. Noch war der richtige Zeitpunkt nicht gekommen.
Er konnte ihr eine Botschaft zukommen lassen, beschloss er. Eine, die an sie persönlich gerichtet war. Je mehr auf dem Spiel stand, desto heftiger würde der Zweikampf ausfallen, wenn es endlich so weit war.
Er wollte sie nicht nur in Angst und Schrecken
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