Lockruf der Gefahr - Lockruf der Gefahr - Black Hills
vielleicht noch einen Dokumentarfilm über sie. Wie bei dem Zodiac-Killer. Dem Green-River-Killer. Doch dafür müssen sie normalerweise die Polizei an der Nase herumführen oder sich der Medien bedienen. All das tut Howe nicht.«
»Es geht ihm nicht um Ruhm oder Anerkennung. Es geht ihm um die Tat an sich. Es ist etwas rein Persönliches, und daraus zieht er seine Befriedigung. Jeder Mord ist ein Beweis dafür, dass er dem Opfer überlegen ist. Seinem Vater überlegen ist. Er beweist sich etwas. Ich weiß, wie sich so etwas anfühlt.«
»Bist du Polizist geworden, um ein Held zu sein, Coop?«
Er lächelte. »Anfangs ja, wahrscheinlich schon. Während meines kurzen College-Abstechers fühlte ich mich wie ein Außenseiter. Das Einzige, was ich während meines Jurastudiums gelernt habe, war, dass ich nicht Anwalt werden will. Aber die Gesetzgebung an sich hat mich fasziniert. Und deshalb bin ich zur Polizei gegangen.«
»Um in den Großstadtschluchten gegen das Verbrechen zu kämpfen.«
»Ich habe New York geliebt, und ich liebe die Stadt immer noch. Aber natürlich habe ich mir vorgestellt, die Bösen zu jagen und die Bevölkerung zu schützen. Doch schon bald stellte ich fest, dass meine Arbeit hauptsächlich darin bestand, irgendwo herumzustehen, an Türen zu klopfen und Papierkram zu erledigen. Es gibt jede
Menge Langeweile. Und dann erlebt man plötzlich wieder absolutes Entsetzen. Ich habe gelernt, mich in Geduld zu üben. Ich habe gelernt zu warten und auch, was es heißt, ein Freund und Helfer zu sein. Aber am elften September wurde alles anders.«
Sie streckte den Arm aus und drückte sanft seine Hand. Diese Berührung war alles auf einmal: Trost, Mitgefühl, Verständnis. »Wir hatten hier furchtbare Angst, bis wir wussten, dass es dir gutgeht.«
»Ich hatte an jenem Tag frei. Als ich an Ort und Stelle kam, war der zweite Turm bereits eingestürzt. Man tat einfach, was man tun musste, was man konnte. Ich kannte einige Polizisten, die ins Gebäude hinein sind, einige der Feuerwehrleute. Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, mit denen ich befreundet war und Basketball spielte. Dann waren sie weg, und ich wollte meinen Job niemals aufgeben. Es war wie eine Mission: meine Leute, meine Stadt. Aber als Dory ermordet wurde, war das mit einem Schlag vorbei. So als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Es ging einfach nicht mehr. Damals verlor ich, was mir außer dir am meisten bedeutete.«
»Du hättest dich versetzen lassen können.«
»Das habe ich auf meine Weise auch getan. Ich musste etwas Neues aufbauen, nehme ich an. Dem Tod und der Trauer etwas entgegensetzen. Ich weiß auch nicht, Lil. Ich habe einfach nur funktioniert, und das hat für mich funktioniert.«
»Und das würde es heute noch, wenn Sam nicht seinen Unfall gehabt hätte.«
»Keine Ahnung. Eigentlich wollte ich schon vor dem Unfall zurückkehren.«
»Schon vor dem Unfall?«
»Ja. Ich sehnte mich nach Ruhe.«
»Wenn man bedenkt, was jetzt passiert ist, hast du die wohl noch kaum gefunden.«
Er sah sie an. »Noch nicht.«
Als er in die Straße zum Reservat einbog, dämmerte es bereits. Ein langer Tag warf lange Schatten.
»Ich werde bei der Fütterung helfen«, sagte sie. »Dann muss ich noch etwas erledigen.«
»Ich muss auch noch arbeiten.« Noch bevor sie die Wagentür öffnen konnte, hielt er sie fest. »Ich könnte sagen, dass es mir leidtut. Aber es tut mir nicht leid, weil du hier bist. Ich könnte sagen, dass ich dir nie mehr weh tun werde, aber ich werde dir weh tun. Dafür kann ich dir sagen, dass ich dich für den Rest meines Lebens lieben werde. Vielleicht reicht das nicht, aber mehr kann ich dir im Moment nicht bieten.«
»Und ich sage dir, dass ich Zeit zum Nachdenken brauche, Zeit, das alles zu verarbeiten und herauszufinden, was ich diesmal will.«
»Ich kann warten. Ich muss noch mal schnell in die Stadt. Brauchst du irgendwas?«
»Nein, danke.«
»Ich bin in einer Stunde zurück.« Er zog sie an sich und küsste sie.
Vielleicht war ihre Arbeit eine Art Krücke, überlegte Lil. Etwas, das ihr Halt gab, ihr half, sich nach einem Sturz wieder aufzurappeln. Und irgendjemand musste die Arbeit ja machen. Deshalb schleppte sie Futter, während die Tiere im Chor heulten. Sie sah zu, wie sich Boris auf sein Abendessen stürzte und es zerriss. Wenn alles gutging, bekäme er noch diese Woche Gesellschaft.
Wieder eine Bereicherung für das Reservat, dachte sie, aber eben auch wieder ein misshandeltes Tier, das
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