Lockruf der Gefahr - Lockruf der Gefahr - Black Hills
schlechte Ausbeute«, sagte sie. »Solche Siege machen übermütig. Die Uhr wird er nicht brauchen. Er kann die Tageszeit am Sonnenstand ablesen. Vielleicht behält er sie als Trophäe oder verpfändet sie irgendwann in einem anderen Bundesstaat, wenn er wieder Geld braucht.«
Sie sah sich um. »Er hat von jedem Opfer, für das du ihn verantwortlich machst, etwas mitgenommen, stimmt’s?«
»Sieht ganz so aus: Schmuck, Bargeld, Vorräte, Kleidungsstücke. Er ist ein Leichenfledderer, aber nicht so dumm, die Kreditkarten oder Ausweise seiner Opfer zu benutzen. Nach ihrem Verschwinden wurden bei keinem von ihnen irgendwelche Kontobewegungen festgestellt.«
»Er hinterlässt keine Datenspuren. Vielleicht hält er Kreditkarten auch für eine Erfindung des weißen Mannes, für eine Schwäche der Weißen.«
»Da hast du sicherlich recht. Du bist wirklich klug, Lil.«
»Aber er kauft eine Armbrust - nicht gerade die traditionelle Waffe amerikanischer Ureinwohner. Er ist wählerisch. Er hat nur Blödsinn im Kopf. Von wegen heiliger Boden! Er entweiht ihn, indem er Jagd auf wehrlose Menschen macht, nur so zum Spaß. Als Sport. Wenn er wirklich Sioux-Blut in sich hat, hat er das auch entweiht. Er besitzt keine Ehre.«
»Die Sioux sahen in den Black Hills das heilige Zentrum der Welt.
»Die Axis mundi «, bestätigte Lil. »Sie betrachteten die Black Hills als Zentrum der gesamten Schöpfung - und tun es bis heute. Paha Sapa. Die heiligen Zeremonien begannen im Frühling. Dabei folgten sie den Büffeln in die Berge und bildeten einen Menschenzug in Form eines Büffelkopfes. Man hat ihnen sechzig Millionen Hektar Land zugesprochen. Doch dann wurde Gold gefunden. Damit war der Vertrag nur noch Makulatur, weil die Weißen das Land und seine Bodenschätze wollten. Das Gold war mehr wert als die Ehre, als der Vertrag, das Versprechen zu respektieren, was heilig war.«
»Aber der Kampf geht weiter.«
»Da hat wohl jemand seine Hausaufgaben gemacht. Ja. Die Regierung hat die Indianer 1877 enteignet und dabei den Vertrag von Fort Laramie gebrochen. Die Teton-Sioux und die Lakota haben das nie akzeptiert. Hundert Jahre später entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Inbesitznahme der Black Hills illegal war, und befahl der Regierung, den ursprünglich zugesagten Preis zuzüglich Zinsen zu bezahlen. Das waren über hundert Millionen Dollar, aber der Vorschlag wurde abgelehnt. Sie wollten das Land zurück.«
»Die Zinsen sind seitdem mächtig gestiegen, im Moment
belaufen sie sich auf mehr als siebenhundert Millionen. Wie du siehst, habe auch ich meine Hausaufgaben gemacht.«
»Sie werden das Geld nicht annehmen. Es ist eine Frage der Ehre. Mein Urgroßvater war Sioux. Meine Urgroßmutter war eine Weiße. Ich bin das Ergebnis dieser Verbindung, und die nachfolgenden Generationen haben das Siouxblut immer weiter verdünnt.«
»Aber du hast einen Ehrbegriff, du verstehst, dass man hundert Millionen Dollar zurückweisen kann.«
»Geld ist nicht dasselbe wie Land. Und man hat ihnen das Land weggenommen.« Ihre Augen waren nur noch zwei schmale Schlitze. »Wenn du glaubst, dass Ethan das tut, um sich für gebrochene Verträge zu rächen, für den Diebstahl heiligen Bodens, dann irrst du dich. Das ist nur eine Ausrede, die es ihm erlaubt, sich als Krieger oder Rebell zu betrachten. Ich bezweifle, dass er sich in Geschichte wirklich auskennt. Wenn, dann kennt er nur einen Teil davon, und auch dieses Wissen ist bestimmt stark verfälscht.«
»Nein, er mordet, weil es ihm Spaß macht. Aber er ist auf dich und dieses Reservat verfallen, weil es seiner Vorstellung von Rache entspricht. Das macht es für ihn noch aufregender und befriedigender. Sein Ehrbegriff ist zwar gestört, aber er besitzt noch einen. Er wird dich nicht töten, während du über den Hof gehst. Das wäre keine Jagd, sondern unbefriedigend und sinnlos.«
»Wie tröstlich.«
»Wenn ich mir in diesem Punkt nicht so sicher wäre, würde ich dich meilenweit weg irgendwo einschließen. Ich bin nur ehrlich«, setzte er noch nach, als sie ihn wütend ansah. »Ich habe eine ganz bestimmte Vorstellung
von ihm, eine Art Profil. Und daraus schließe ich, dass er von dir verstanden werden will. Dass du es mit ihm aufnehmen, dir einen richtigen Wettkampf mit ihm liefern sollst. Er wartet auf eine passende Gelegenheit, aber so langsam wird er ungeduldig. Die E-Mail soll die Sache beschleunigen.«
»Das ist eine Mutprobe.«
»Sozusagen, und eine Kriegserklärung. Du musst
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