Lockruf der Highlands: Roman (German Edition)
ihren Träumen hatte sie mit der Phantasieversion dieses gut aussehenden Physikers Seite an Seite gearbeitet, tagsüber mit ihm ihren wissenschaftlichen Leidenschaften gefrönt und nachts den sexuellen.
Doch es hatte sie immer wieder auch ein Albtraum geplagt, in dem ein ebenso gut aussehender Dr. Renoir auf einem Podium stand, während sie mit nichts als ihrer Unterwäsche bekleidet vor ihm kauerte. Er hielt ihr vor den versammelten Fachleuten eine Strafpredigt, in der er sich eingehend über ihr Unvermögen ausließ, auch nur die simpelste Gleichung
zu lösen. Ihre Eltern und alle ihre brillanten und erfolgreichen Schwestern saßen mit vor Scham gesenktem Kopf in der ersten Reihe.
Doch alle ihre Träume und Albträume zusammengenommen waren nichts verglichen mit dem leibhaftigen Lucian Renoir. Er sah noch viel besser aus, als sie ihn sich vorgestellt hatte: viel größer, viel schlanker und männlicher als der Mann auf dem grobkörnigen Foto, auf das sie im Internet gestoßen war. Sein Haar und sein durchtrainierter Körper hatten bei ihr gar nicht den Gedanken aufkommen lassen, sie wäre an einem so abgelegenen Ort wie Go Back Cove einem Kollegen über den Weg gelaufen.
Deshalb hatte sie heute Morgen das Gefühl gehabt, sie hätte einen Schlag in die Magengrube abbekommen, als sie auf der Karte, die Fiona für ihn dagelassen hatte, seinen Namen gelesen hatte. Da sie während ihrer gemeinsamen Genesungszeit an Luke Gefallen gefunden hatte und sich sexuell mit jedem Tag mehr zu ihm hingezogen fühlte, hatte sie sich doch tatsächlich schon ausgemalt, wie es wäre, sich am Ende seiner Auszeit mit ihm zusammenzutun. Wer, wenn nicht sie, würde Verständnis dafür aufbringen, wenn er sie wegen seiner Arbeit im Labor vernachlässigte? Ja, sie hatte sogar gehofft, seine Leidenschaft als Wissenschaftler würde auf sie abfärben und sie vielleicht wieder ins Spiel bringen.
Aber er war ja nicht der gute alte Luke Pascal, oder?
Er war Lucian Renoir. Was ihr wieder ihren Albtraum in Erinnerung rief, in dem sie sich zusammengekauert auf einem Podium sitzen sah, anstatt ihren Traum zu verwirklichen und ihre Tage in seinem Labor und die Nächte in seinem Bett zu verbringen.
Sie erreichten die Stufen zur Veranda, und Luke bückte sich nach dem bunt verpackten Päckchen, das Fiona mit den Karten auf dem Küchentisch hinterlassen hatte, bevor sie auf ebenso mysteriöse Weise verschwunden war, wie sie vor nur einer Woche aufgetaucht war.
Er wollte ihr das Geschenk geben, doch Camry steckte die Hände in die Taschen. »Es ist an uns beide adressiert«, sagte sie. »Mach du es auf.«
Er klemmte es sich unter den Arm, sammelte die Karten auf, die ins Gras geweht worden waren, und ging dann die Stufen hinauf, um Camry die Tür aufzuhalten. Cam trat vor ihm ins Haus und verschwand sofort in ihrem Schlafzimmer. Sie schloss die Tür, sperrte ab – und dann warf sie sich aufs Bett und brach in Tränen aus.
Luke stand mit dem dritten Bier von dem Sixpack, das er im Kühlschrank entdeckt hatte, an die Küchentheke gelehnt da und starrte auf die Schachtel,
die er mit den beiden Karten von Fiona auf den Tisch gelegt hatte. Das Geschenk zu öffnen, wenn Camry nicht dabei war, kam ihm nicht richtig vor.
Es war ihm auch nicht wohl in seiner Haut gewesen, als er Fionas für Camry bestimmte Nachricht gelesen hatte. Da er aber auf dem schlüpfrigen Abhang des Betruges bereits nach unten schlitterte, hatte er sie trotzdem gelesen. Obschon er sich dabei hundeelend fühlte, hätte er fast aufgelacht, als er entdeckte, dass die romantische Fiona Camry eine Nachricht hinterlassen hatte, die fast identisch mit der war, die sie ihm geschrieben hatte.
Das junge Mädchen bat Camry ebenso kurz und idealistisch, nicht locker zu lassen, und betonte, dass jeder für den anderen ein Wunder darstelle. Der einzige Unterschied bestand in Fionas abschließender Bemerkung, sie würde ihre Lieblingstante kommende Woche zur Wintersonnenwende wiedersehen.
Luke öffnete noch eine Bierflasche und gönnte sich einen tiefen Schluck. Herrgott, wie leer das Haus ohne die Göre und diese Köter doch war! Das herzzerreißende Schluchzen, das aus dem Schlafzimmer drang und erst verstummte, als vor zwanzig Minuten die Dusche anfing zu plätschern, war der einzige Hinweis, dass er nicht allein war.
Er wusste beim besten Willen nicht, was er machen sollte. Er wünschte sich von ganzem Herzen,
Camry glücklich zu sehen, hatte aber keine Ahnung, was er dazu tun
Weitere Kostenlose Bücher