Lockruf Der Leidenschaft
einen hübsch geblümten Kambrikunterrock umzunähen, den Polly über ihrem Hemd tragen wollte, jedoch ohne Tunika oder Überkleid darüber. Aus den Gärten hatten sie sich Nelken, Ringelblumen und Gänseblümchen besorgt, die Susan mit geschickten Fingern in Pollys Locken geflochten hatte, die sich offen über die Schultern des Milchmädchens kringelten.
»Im Winter würde man ein solches Kostüm wohl nicht tragen«, sagte Polly mit einem leisen Lachen und betrachtete sich im Spiegel. »Aber wenn ich die Rolle vernünftig spielen will, dann muss ich auch barfuß gehen.« »Du willst barfuß vor den König treten?« Sue, die dabei war, den Unterrock ein wenig zu raffen, um die hübsch geschwungene Wade und den schmalen Schwung der Fußgelenke zu entblößen, blickte bei der Vorstellung, dem König mit so dreister Schamlosigkeit zu begegnen, schockiert auf.
»Ich denke, das ist auch nicht unanständiger, als wenn ich vor dem König in Hemd und Unterrock auftauche«, entgegnete Polly gelassen und rückte mit einem kritischen Stirnrunzeln den Ausschnitt des Hemds zurecht. »Und abgesehen davon ist Seine Majestät gewiss recht vertraut mit den weiblichen Formen in den verschiedenen Stadien der Entkleidung.«
Trotz ihrer schockierten Missbilligung über diese Respektlosigkeit kicherte Sue. »Himmel, Polly, so was solltest du aber nicht sagen.«
»Wieso, es ist doch die Wahrheit«, erwiderte ihre Freundin wahrheitsgemäß. »Bevor ich mich zeige, will ich noch einmal in Mylords Appartement, um mein Kostüm vorzuführen. Wenn also irgendetwas daran nicht stimmt, wird er es mir gewiss sagen.«
Pollys Zimmer lag neben dem Kincaids, allerdings war ihres kleiner und weniger luxuriös eingerichtet als das seine - wie es ihrer Position als anerkannte Mätresse Seiner Lordschaft zustand, allerdings ohne einen Ehemann zu haben, dessen Status sie als den ihren hätte einfordern können. Polly hatte sich lautstark über diese Regelung beschwert, bis Kincaid ihr nüchtern erklärt hatte, der Haushofmeister des Grafen von Pembroke sei über alle Besonderheiten betreffend der Gäste seines Herrn in Kenntnis gesetzt worden und habe entsprechende Dispositionen getroffen. Dank dieser äußerst taktvollen Planung war Polly in den Genuss eines Schlafzimmers mit einem angrenzenden Ankleidezimmer gekommen, das es ihr ermöglichte, durch dessen Verbindungstür auf direktem Weg in Kincaids Appartement zu gelangen. Sie klopfte an die Tür.
»Oh, ich bitte um Entschuldigung, Sir. Ich wusste nicht, dass Ihr Besuch habt. Soll ich später noch einmal kommen?« Sie lächelte Lord De Winter an, der, verschwenderisch in purpurroten, mit türkisfarbenen Pfauen bestickten Satin gekleidet, am Fenster saß und an einem Gläschen Likör nippte.
Nicholas, der gerade eine Diamantnadel durch den üppigen Fall der Spitze an seinem Kragen steckte, wandte sich um. »Aber ganz und gar nicht, Liebes. Wir besprechen keine Geheimnisse.« Bei ihrem Anblick breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Was für ein bezauberndes Milchmädchen! Was denkst du, Richard?« »Dass die Messer immer leidenschaftlicher gewetzt werden«, entgegnete De Winter mit unverhohlener Belustigung. »Du hast Mut, das muss man dir lassen, Polly. Es wird wohl einiges an Klagen und Zähneknirschen geben unter deinen edlen Rivalinnen, wenn du so erscheinst.«
»Das interessiert mich nicht«, erklärte Polly beherzt. »Ich könnte an Lady Castlemaines Haltung mir gegenüber selbst dann nichts ändern, wenn ich mir Asche ins Haar reiben und mir einen alten Kartoffelsack überziehen würde, warum sollte ich mir also noch irgendwelche Gedanken machen?« »In der Tat, warum eigentlich«, stimmte Richard gelassen zu.
»Es ist so ein raffiniert einfaches Kostüm.« Er lachte fröhlich. »Und ich möchte wetten, dass das den größten Unmut verursachen wird. Stell dir vor, wie ärgerlich es sein muss, wenn man so viele Stunden und jede Menge Geld und unglaubliche Mengen an Farbe und Berge von Puder aufgebracht hat, um von einem Milchmädchen in Unterrock, Hemd und ein paar Blumen ausgestochen zu werden.«
»Aber wenn du keine Schuhe trägst, solltest du besser aufpassen, wohin du trittst«, wandte Nick ein, erhob sich und strich seinen Gehrock glatt. »Und was sagt Ihr zu meinem Aufzug, Mistress?« Er schaute sie an, hob eine Augenbraue und drehte sich langsam einmal um die eigene Achse.
»Wundervoll!«, hauchte Polly, als sie die schimmernde schwarze Seide mit den goldenen Arabesken
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