Lockruf Der Leidenschaft
und jede einzelne Nuance dieser Geste strotzte vor Unverschämtheit. »Ich fühle mich geehrt, dass mein bescheidener Auftritt so überzeugend wirkt.« Mit vor Lachen zuckenden Schultern ließ Richard De Winter Polly in der Höhle der Löwinnen in der Gewissheit zurück, dass es ihr keinerlei Mühe bereiten würde, sich in diesem Kreis zu behaupten. Aber sie sollte ohnedies nicht lange dort bleiben müssen. An Pollys Seite erschien ein livrierter Page, der ihr eine Aufforderung des Königs überbrachte.
Polly lächelte in die Runde der Damen und entschuldigte sich. König Charles saß in einem geschnitzten Sessel am anderen Ende des prächtigen Salons. »Meiner Treu, Ihr seid schon ein teuflisch hübsches Kind«, erklärte er mit jovialer Geziertheit. »Und ich bekomme - Gott vergib mir - einen Kuss.« Damit ergriff er Pollys Hand, zog sie auf den königlichen Schoß und umschlang sie begeistert.
Polly, ein wenig atemlos, als sie aus der lustvollen Begrüßung ihres Herrschers auftauchte, zwang sich zu einem Lachen und gab sich geschmeichelt, als hätte sie die Geste völlig überrumpelt. In Wahrheit war sie tatsächlich überwältigt, schließlich hätte sie nicht im Traum daran gedacht, dass ihr der englische Monarch eines Tages auf eine solch intime Art seine Aufmerksamkeit zollen würde. Da sie aber wusste, wie schnell der König sich langweilte, sammelte sie sich rasch wieder. Sie zupfte sich eine Ringelblume aus dem Haar und steckte sie ihm mit einem köstlichen Erröten und einem reizenden Lächeln ins Knopfloch. »Und auch für Euch ein kleines Geschenk, Sir.«
Dieser geistreiche Einfall brachte ihr prompt einen weiteren Kuss Seiner Majestät ein, und als Polly Anstalten machte, von seinen Knien zu gleiten, umschlang König Charles eilig ihre Taille. »O nein, meine Rose, ich möchte Eure Gesellschaft noch ein wenig länger genießen. Ihr seid doch so eine süße kleine Last!« Mit einem fröhlichen Lachen nahm er eine duftende kandierte Frucht aus der Schale, die neben ihm auf einem Tischchen stand, und schob sie Polly zwischen die Lippen.
Eine halbe Stunde saß Polly so auf seinen Knien, während er sie beide mit Leckereien fütterte, seine Hände ein wenig auf Wanderschaft gehen ließ und Polly in eine gewagte Unterhaltung verstrickte, die all ihre Aufmerksamkeit erforderte. Sie waren umringt von einem Kreis von bewundernden Höflingen, die in getreuer Nachahmung ihres Königs über jeden von Pollys Geistesblitzen herzlich lachten und sie zu ihrem scharfen Verstand, ihrem originellen Kostüm und ihrer Schönheit beglückwünschten. Doch die ganze Zeit über war Polly sich auch der giftig funkelnden Blicke bewusst, die ihr Lady Castlemaine zuwarf, die etwas abseits stand. »Sie ist wirklich eine vollendete Schauspielerin, nicht wahr, meine Liebe?« George Villiers nahm eine Prise Schnupftabak zu sich und lächelte seine Cousine mit einem Anflug von Boshaftigkeit an. »Was meinst du, genießt sie ihre augenblickliche Position?«
»Wie sollte sie das nicht tun?«, schnappte die Mätresse des Königs und hatte sich damit zu einem Ausdruck ihrer wahren Gefühle hinreißen lassen.
»Aber Madame, Ihr wärt eine Närrin, wenn Ihr das glaubtet«, widersprach Villiers schleppend. »Sie kann es gar nicht erwarten, wieder entlassen zu werden.«
»Sie ist eine hinterhältige Hure!«, spie Barbara Lady Castlemaine. »Aber wenn sie meint, sich damit den Weg in das Bett des Königs erschleichen zu können, sollte sie sich das besser noch einmal überlegen.« »Habt keine Angst, meine Liebe. Der König hegt keinerlei Absichten in diese Richtung. Er hat schon genügend Mätressen, die ihn plagen«, lachte Villiers. »Sagte er mir zumindest. Ein kurzes und bedeutungsloses Geplänkel vielleicht, aber auch nur, wenn das kleine Luder es darauf anlegt.« Er hielt inne und betrachtete nachdenklich die sich ihm bietende Szene. »Aber das tut sie, glaube ich, nicht.«
Neugierig beobachtete Lady Castlemaine den Herzog von Buckingham. »Und wie steht es mit Euren Fortschritten bei unserem Milchmädchen, George? Ihr wart doch mächtig auf sie erpicht, wie ich mich entsinne.« Villiers zuckte gleichgültig die Achseln. »Ich muss erst noch den Preis in der passenden Währung finden.« Der Anflug eines Lächelns erschien auf seinem Gesicht, das sein Antlitz jedoch nicht im Geringsten erhellen konnte. »Aber dann soll die kleine Schlampe auch den vollen Preis für ihre Arroganz zahlen; da kannst du dir sicher sein, Barbara. Ihren
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