Lockruf Der Leidenschaft
besten darum kümmere.« Nicholas sprach mit strenger Stimme, wohl wissend, dass er dieses ungeduldige Streben nach Unabhängigkeit am besten sofort und noch im Keim erstickte. »Vielleicht verrätst du mir ja, womit ich dieses Misstrauen verdiene. Erfülle ich meinen Teil unserer Abmachung denn nicht zur Genüge? Erlaube mir, dir zu sagen, dass du es mit der Erfüllung deiner Verpflichtungen jedenfalls nicht allzu genau zu nehmen scheinst.« Tränen stiegen in Pollys Augen auf, kullerten ihre Wangen hinab, um vor ihr auf dem Tisch zu zerplatzen. »Nein!«, rief Nick und schob mit einem Ruck seinen Stuhl zurück. »Wenn diese Tränen nicht augenblicklich wieder aufhören, werde ich dafür sorgen, dass du das nächste Mal Grund genug hast, um echte Tränen zu vergießen! Du vergisst, dass ich deine Tricks mittlerweile ziemlich gut kenne.«
»Es ist aber eine sehr nützliche Fähigkeit«, erklärte Polly gekränkt und wischte sich mit dem Handrücken über die Wange.
»Zweifellos.« Nicholas setzte sich wieder und gab schließlich seiner Neugier nach, obwohl er Polly bei der Ausübung ihrer mehr als zweifelhaften Talente eigentlich nicht auch noch ermuntern wollte. »Aber wie machst du das eigentlich?«
»Ich denke einfach an etwas Trauriges«, antwortete Polly »Ihr habt mich auf eine so gemeine Art ausgeschimpft. Und dabei war es doch für nichts und wieder nichts, denn das Schauspielhaus war geschlossen, und ich habe k eine Menschenseele angetroffen und ich bin so entsetzlich hungrig«, beschwerte sie sich.
»Aber warum solltest du denn Hunger haben?« Nick atmete tief das Aroma seines Weines ein und blickte Polly mit gerunzelter Stirn an.
»Aus dem einfachen Grund, dass ich kein Abendbrot hatte, und Frühstück bekomme ich auch keines«, entgegnete sie scharf. »Ihr haltet Eure Versprechen nämlich doch nicht ganz ein, Sir. So wie ich es verstanden hatte, sollte Lady Margaret mich nicht bestrafen dürfen. Aber mein Magen sagt mir etwas ganz anderes.« Nick stieß einen leisen Pfiff aus. »Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Um Euch von der Bestrafung zu erzählen, hätte ich ja auch von dem Vergehen berichten müssen«, entgegnete Polly unverblümt. »Und wenn Ihr davon bisher noch nichts erfahren hattet, hielt ich es für das Beste, es auch weiterhin für mich zu behalten.«
»Wahrscheinlich aus gutem Grund.« Nicholas konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als er das inzwischen vertraute Muster erkannte. Sie brachte ihn regelmäßig mit ihrer Ungeduld und ihren lautstarken Beschwerden über ihre derzeitigen Lebensumstände geradezu zur Verzweiflung, doch andererseits gelang es ihr jedes Mal wieder, ihn mit ihrer Unbefangenheit zu entwaffnen. »Nun ja, jetzt bin ich mit meiner Schimpftirade am Ende. Warum gehst du nicht in die Küche, nimmst dir etwas zum Abendbrot und bringst es herauf?«
»Sodass man mir zusätzlich zu meinen bisherigen Schandtaten auch noch Diebstahl vorwerfen wird«, erklärte Polly, obwohl sie den Salon bereits zur Hälfte durchquert hatte. An der Tür blieb sie kurz stehen, eine Hand auf der Klinke. »Ich vermute, dass Lady Margaret mich in dem Fall sogar mit Recht einfach vor die Tür setzen könnte.« Ein Anflug von Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit, und sie blickte ihn fragend an. »Dann würden wir einfach eine andere Möglichkeit finden müssen.«
»Ja. Newgate«, entgegnete Lord Kincaid liebenswürdig. »Und dann wirst du deine Tage genau dort beschließen, wo du sie begonnen hast.«
Polly, die eine Niederlage stets mit Anstand hinzunehmen pflegte, knickste in vorgetäuschter Zustimmung, doch ihre Augen blitzten spitzbübisch.
»Und jetzt verschwinde«, sagte Nick. »Oder vielleicht bist du gar nicht mehr hungrig?« Polly verschwand augenblicklich.
Leise lachend beugte Nick sich hinab, um das Feuer zu schüren. War sie schon bereit? Seine Miene wurde ernst, als er in die Flammen starrte, wo das neue Holzscheit zischend Feuer fing, und sich diese Frage noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Ohne jeden Zweifel war sie so weit, Killigrew vorgestellt zu werden. In den vergangenen Wochen hatte sie sich in jeglicher Hinsicht als eine gelehrige und unermüdliche Schülerin erwiesen. Es war erstaunlich leicht gewesen, ihr einen gewissen Schliff beizubringen, was durch ihr bemerkenswertes Talent zur Nachahmung und ihre äußerst scharfe Beobachtungsgabe noch unterstützt wurde.
Er hatte De Winter erklärt, der Unterricht, den er Polly erteilte, diene auch in
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