Lockruf Der Leidenschaft
Nicholas, Lord Kincaid, für die Erreichung ihrer eigenen Ziele zu benutzen - jedoch ohne ihn zu täuschen, so viel stand fest. Er hatte sie gelehrt, was sinnliches Verlangen war, hatte ihr Verständnis für die Macht der Leidenschaft vermittelt und ihr gezeigt, welche Freude in deren Erfüllung lagen. Doch hatte sie ihn auch stets in der Rolle des Beschützers und des Gönners gesehen, ohne den sie ihren ehrgeizigen Plan nicht zu verwirklichen vermochte. Die sinnlichen Freuden ihres Liebesnests waren lediglich eine Beigabe.
Doch nun schien es plötzlich, als ob die Prioritäten vertauscht worden wären. Jegliche Hilfe, die er ihr bei der Erreichung ihres Zieles anbot, war die Beigabe - eine Beigabe, die nichts mit der überwältigenden Woge der Liebe zu tun hatte, die Polly beim Blick in seine Augen empfunden hatte.
Doch Polly konnte nicht wissen, dass Lord Kincaid zu genau derselben Feststellung gelangt war, wenn auch auf der Basis seines geplanten Täuschungsmanövers.
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10.
Drei Tage nach dem Einkaufsbummel im Royal Exchange erhielt Thomas Killigrew Lord Kincaids Nachricht, als er gerade beim Frühstück saß. Diese Art Nachricht hatte der Leiter der königlichen Theatertruppe in der Vergangenheit schon häufiger erhalten: Ein Adliger hatte sich eines Mädchens angenommen, das unbedingt zum Theater wollte. Würde Master Killigrew Nicholas also die Freundlichkeit erweisen und sich die Kandidatin einmal ansehen, um zu entscheiden, ob sie engagiert werden könnte? Lord Kincaid hatte die Vermutung ausgesprochen, dass Killigrew sich gewiss dem Zauber dieses Mädchens nicht würde entziehen können. Zudem enthielt sein Brief eine Auswahl an möglichen Treffpunkten - entweder in der Unterkunft der jungen Dame oder im Schauspielhaus, wohin Lord Kincaid Mistress Wyat zu einem Zeitpunkt geleiten würde, der Master Killigrew genehm war. Master Killigrew nahm einen großen Schluck von seinem Ale.
Er kam gut mit Kincaid aus, der einen recht scharfen Verstand besaß und einen großen Bogen um die allzu ausschweifenden Vergnügungen bei Hofe machte. Man konnte ihn also keinesfalls einen Dummkopf schimpfen. Auch der König brachte Lord Kincaid seine Wertschätzung entgegen, wenngleich er allerdings nicht unbedingt zu dessen Lieblingen zählte - und Nicholas strebte diesen Status auch nicht unbedingt an, wie Killigrew nach einigem weiteren Nachdenken feststellte. Ihm lagen weder das Kriechen noch das Säuseln, also all jene Eigenschaften, die einen wahrlich unterwürfigen Höfling erst ausmachten. Zudem hatte Lord Kincaid einigen Gefallen am Schauspiel gefunden. Er war weitläufig befreundet mit John Dryden und wusste deshalb vermutlich auch gut darüber Bescheid, an welchen Eigenschaften es einer Schauspielerin auf keinen Fall mangeln durfte. Und genau diese Eigenschaften besaßen eben nicht alle Mätressen - obwohl sie, falls sie doch vorhanden waren, jene Frau zu einer geradezu göttlichen Mätresse machten, resümierte Tom mit einem boshaften Schmunzeln. Es waren genau jene Eigenschaften, die ihre Besitzerinnen schon in so manches hochherrschaftliche Schlafgemach geführt hatten, in mehr als nur einigen Fällen sogar bis vor den Altar und zum Titel einer Gräfin.
Thomas Killigrew dachte über seine Antwort nach und beschloss, sich das Mädchen zunächst einmal in ihrer vertrauten Umgebung anzuschauen. Der Anblick der Bühne konnte eine Anfängerin nur allzu rasch und nachhaltig verunsichern. Sollte ihr Auftreten tatsächlich Anlass zur Hoffnung geben, würde er sie sich anschließend auf der Bühne ansehen. Also wurde eine Nachricht an die Adresse in der Drury Lane entsandt, dass Master Killigrew sich die Ehre gab, Lord Kincaid und seinem Schützling um drei Uhr an diesem Nachmittag seine Aufwartung zu machen.
Nicholas hatte Polly noch nichts davon erzählt, dass er den lang ersehnten Schritt nun endlich unternommen hatte. Je weniger Zeit Polly für nervöse Vorfreude blieb, desto ruhiger wäre sie, wenn der große Augenblick kam. Aus einer, wie er sich widerwillig eingestehen musste, Mischung aus Stolz und Liebe wollte er, dass Polly sich Killigrew von ihrer allerbesten Seite präsentierte. Das weiße Unterkleid aus Damast und das purpurrote Kleid aus Samt waren mit einer Schnelligkeit geliefert worden, die viel über das Geschick und den Fleiß der Gewandschneiderin und ihrer Lehrlinge aussagte. Damit war es also nicht allzu schwierig, Polly an diesem Nachmittag davon zu überzeugen, in ihren neuen
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