Lockruf Der Leidenschaft
aufgerichtet, und die Eleganz ihrer Kleidung wurde durch die natürliche Anmut ihrer Haltung noch betont. Die erregende Aussicht, außer Nicholas nun auch noch zusätzliches Publikum begrüßen zu dürfen, ließ ihre Wangen noch rosiger glühen und, falls das überhaupt noch möglich war, die moosgrünen Tiefen ihrer Augen noch intensiver leuchten. Die Lippen über ihren ebenmäßigen, weißen Zähnen waren leicht geöffnet, und sie strahlte jene ganz besondere innere Kraft aus, die jeden Widerstand im Voraus zunichte machte.
Und genau diese Eigenschaft fiel Killigrew als Erstes ins Auge, als er den Salon betrat. Dies war keine blutleere Jungfer, die jeden Augenblick in Ohnmacht fallen konnte, sondern eine junge Frau, die ihren Blick auf ein bestimmtes Ziel gerichtet hatte. Eine Frau, die ihre Umgebung mit allen ihren Sinnen in sich aufnahm, fest dazu entschlossen, sich nicht einmal die kleinste Chance entgehen zu lassen, und stets darauf bedacht, sich so zu benehmen, dass sie in jeder Situation den bestmöglichen Eindruck hinterließ. Erst auf den zweiten Blick eröffnete sich Killigrew das ganze Ausmaß ihrer außergewöhnlichen Schönheit.
Killigrew blickte zu Lord Kincaid hinüber, der die Reaktionen des Besuchers mit einem angedeuteten Lächeln und hochgezogenen Brauen beobachtet hatte. »Es wäre wirklich zu viel verlangt, jetzt auch noch zu hoffen, dass sie etwas Begabung besitzt«, murmelte Thomas. »Gott verteilt seine Segnungen nur sehr sparsam - und jene, die er ihr nun schon gewährt hat...!« Killigrew hob mit einer ergebenen Geste die Hände.
Ein wenig verwirrt hatte Polly dieser kurzen Unterhaltung gelauscht. Nun warf sie Nick einen eindringlichen Blick zu und klopfte unbewusst mit einem Fuß ungeduldig auf den Boden.
»Bitte entschuldige, Polly.« Nicholas verneigte sich leicht. »Bitte erlaube mir, dir Master Thomas Killigrew vorzustellen. Thomas, Mistress Polly Wyat.« Damit trat er einen Schritt zurück, bereit, das nun beginnende Schauspiel zu genießen.
Es dauerte nur eine Sekunde, bis Polly sich von ihrer Überraschung erholt und ihre Fassung zurückgewonnen hatte. Anmutig versank sie in einen tiefen Knicks und murmelte leise, wie erfreut sie sei, Master Thomas Killigrews Bekanntschaft zu machen. Ihre Begrüßung erfuhr die entsprechende Erwiderung. »Bitte wiederholt Euren Knicks noch einmal, dieses Mal jedoch vor einem Mann, den Ihr, sofern Euer Ehemann sich erfolgreich täuschen lässt, gerne als Euren Liebhaber gewinnen würdet!«, erklärte der Leiter der königlichen Theatergruppe. Polly besann sich für eine Minute. So hatte sie sich ihr erstes Zusammentreffen mit diesem Mann nicht vorgestellt! Aus irgendeinem Grund hatte sie gedacht, es gäbe so eine Art Zeremonie und diese fände in der gedämpften Herrlichkeit und Pracht des Theaters statt, das sie bislang noch nicht hatte betreten dürfen. Sie hatte das erste Zusammentreffen mit dem ganzen Zauber ihrer Fantasie ausgeschmückt. Doch wenn es sich nun stattdessen auf diese Art und Weise abspielen sollte, würde sie sich eben fügen müssen.
Also stellte sie sich vor, wie sie in einem überfüllten Salon stand, neben ihrem Ehemann, während Nick, ihr zukünftiger Liebhaber, sich vor ihr verbeugte. Master Killigrew war in diesem Augenblick das Publikum, also musste sie sichergehen, dass er auch in den Genuss des Anblicks ihres Dekolletes und der Kurven ihrer Hüften kam, wenn sie eine ihrer feingliedrigen Zehen aufstellte und ihrem Gesäß erlaubte, in Richtung des angewinkelten Beines zu sinken. Es war ein sehr langsamer Knicks, bei dem sie ihren Blick sittsam auf den Boden gerichtet hielt. Doch als sie die gewünschte Haltung erreicht hatte, hob sie den Kopf und blickte Lord Kincaid direkt in die Augen. Es war kaum mehr als der Hauch eines Blickkontaktes, da die offene Erwiderung seines Blickes einer Unverschämtheit gleichgekommen wäre, die die unerwünschte Aufmerksamkeit der Umstehenden erregt hätte. Polly besaß keinen Fächer, doch es war nicht schwer, so zu tun, als klappe sie dieses Hilfsmittel auf, während sie den schmelzenden, doch zugleich verschmitzten und einladenden Blick in Richtung des Auserwählten schweifen ließ. Gleichzeitig hielt sie diese Pose der Unterwerfung so lange, um ihre Aufforderung noch einmal zu unterstreichen und beiden Männern die volle Würdigung ihrer nackten Schultern, der kunstvoll geringelten Locken und der verführerischen Rundungen ihrer halb entblößten Brüste zu gestatten. Dann
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