Lockruf Der Leidenschaft
gewiss auch nicht zur Zielscheibe der Boshaftigkeit oder Schadenfreude der Gesellschaft. In Wahrheit war sogar meist das Gegenteil der Fall. Es war nicht mehr zwangsläufig eine Frage der Ehre, ob die Ehefrau treu blieb, wenngleich gelegentlich immer noch Duelle ausgetragen wurden und der Verführer der Ehefrau nach wie vor verpflichtet war, die Herausforderung eines betrogenen Ehemanns anzunehmen. Doch in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Umgebung galt das Duell bereits als skandalöser als dessen Ursache.
Warum also erfüllte ihn der Gedanke daran, dass Polly sich den sexuellen Aufmerksamkeiten von George Villiers oder irgendeines anderen Mannes fügte, mit einem überwältigenden Ekel?
»Ich habe mich dieser Sache verschworen, und ich werde euch nicht enttäuschen«, gab Nicholas die einzige Antwort, die ihm blieb. »Aber ich wiederhole auch: Ich werde sie nicht drängen, irgendetwas zu tun, das sie nicht will.«
»Aber du wirst sie doch ermutigen, Buckingham etwas weniger abstoßend zu finden?« De Winter musterte Nicholas über den Rand seines Glases hinweg. »Als der vertrauenswürdige Mentor - und auch als Liebhaber - besitzt du schließlich einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Du könntest sie leicht von ihrer Abneigung abbringen, und zwar noch bevor du sie um ihre Mithilfe bittest.«
Was für ein berechnender Zynismus! Die Macht der Liebe für einen solchen Zweck einzusetzen. Und dennoch, hatte er überhaupt eine andere Wahl? Zumindest würde man ihm auf diese Weise keinen Betrug vorwerfen können. Doch das war nur ein schwacher Trost für jemanden, der sich stattdessen der unverfrorenen Manipulation eines Schützlings schuldig machte, der ihm vertraute. »Ich werde tun, was nötig ist«, entgegnete Nicholas schlicht.
Bald darauf verließ De Winter ihn. Nick blies die Kerzen im Salon aus, ehe er ins Schlafzimmer ging. Polly schlief den erfrischenden Schlaf der Jugend und der Gesundheit, das Haar über das Kissen gebreitet, die Hände entspannt über dem Kopf liegend, die Lippen leicht geöffnet, und bot damit einen Anblick, so unschuldsvoll wie die Blume, an die sie ihn so oft erinnerte. Nick wusste zwar nur allzu gut, dass sie nicht ganz so unschuldsvoll war, wie sie gerade aussah, doch auch dieser Gedanke half nur wenig, um den schalen Geschmack aus seinem Mund und das beißende Ziehen in seinen Eingeweiden zu vertreiben, als er daran dachte, wozu er sie überreden musste. Nicholas schlüpfte neben Polly ins Bett, worauf sie sich augenblicklich in seine Arme kuschelte. »Nick?«, murmelte sie verschlafen.
»Wer sollte es wohl sonst sein?« Doch die neckende Antwort klang in seinen Ohren so hohl und leer wie die Schale eines Bettlers.
Polly kicherte und schmiegte sich noch etwas enger an ihn, ehe sie wieder in den Schlaf glitt. Als Polly erwachte, hatte sich der Regen der vergangenen Nacht verzogen, und die frühmorgendliche Sonne strahlte durch das Fenster. Eine Amsel zwitscherte voll hartnäckiger Freude auf dem knorrigen Ast eines alten Apfelbaumes im Garten. Das war der erste Bote des nahenden Frühlings, und Polly lag eingekuschelt in das warme Federbett unter der schweren Tagesdecke und spürte Nicks Wärme und Kraft neben sich. Ein wohliges Gefühl der Zufriedenheit durchströmte sie, gefolgt von wachsender Zuversicht. Mit einem Mal konnte sie ihre schreckliche Angst des vorangegangenen Tages nicht mehr verstehen. Mit kleinen, schmerzhaften Nadelstichen überfiel sie die Reue beim Gedanken daran, wie sehr sie Nicholas' Geduld auf die Probe gestellt hatte. Polly stützte sich auf einen Ellenbogen, beugte sich über Nicks regungslosen Körper und begann ihn hingebungsvoll wachzuküssen. Seine Augen blieben geschlossen, doch seine Haut überlief ein leichter Schauer der Erregung, als Polly ihre Lippen in die kleine Kuhle an seinem Hals presste und sich aufreizend an ihm rieb. Nick überließ sich dem herrlichen Gefühl schläfriger Trägheit, während sich sein Körper unter Pollys sinnlichen Liebkosungen zu regen begann. Doch einer spitzbübischen Eingebung folgend, blieb er so ruhig liegen, wie es ihm die Kontrolle über seine willentlichen Regungen erlaubte, und hielt die Augen fest geschlossen. Pollys Zunge tanzte über seine Brustwarzen, doch Nicholas bewegte sich immer noch nicht. Sie hob den Kopf, und die Verwirrung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Falls das hier ein Spiel sein sollte, dann war es eines, das sie bisher noch nicht gespielt hatten. Mit einem kleinen Lächeln
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