Lockruf Der Leidenschaft
in der entspannten Stille schließlich an. »Warum wartest du nicht einfach ab, wie du dich das nächste Mal fühlst, ehe du jetzt schon ein Urteil über dich fällst?«, riet Nick ihr mit sanfter Stimme. »Dieser Auftritt ist doch schließlich eine völlig unbekannte Erfahrung für dich. Wenn du dich erst einmal daran gewöhnt hast, wirst du bestimmt entspannter damit umgehen.«
»Das will ich hoffen«, entgegnete Polly voller Inbrunst, »sonst komme ich noch um! Kann man eigentlich vor Angst sterben?«
»Das bezweifle ich.« Nicholas nahm Polly den leeren Becher wieder ab und beugte sich vor, um sie noch einmal zu küssen. »Und jetzt schlaf, Liebes.«
»Ich wünschte, du würdest Richard sagen, dass auch er sich auf den Weg ins Bett machen soll«, grummelte sie leise und legte ihm die Arme um den Hals. »Dann würdest du mich so lange festhalten, bis ich eingeschlafen bin, und mich nicht wie ein übermüdetes Baby ins Bett schicken.« Polly vergrub ihre Nase an Nicholas' Hals, atmete tief den warmen, erdigen Geruch seiner Haut und die nach Rosenwasser duftende Frische seines Hemds ein, und fuhr mit den Fingern durch seine üppigen rotbraunen Locken.
Nicholas umfasste ihre Handgelenke. »Mein Herz, ich muss noch etwas mit Richard besprechen, aber ich komme, so schnell es geht, zu dir. Und in der Zwischenzeit wirst du genauso tief und fest schlafen wie das übermüdete Baby, von dem du behauptest, dass du es nicht bist.« Er lachte, als ihr entrüsteter Protestversuch in einem herzhaften Gähnen unterging. Im nächsten Moment fielen ihr die Augen zu.
Sie spürte gerade noch die zarte Berührung seiner Lippen auf ihrem Mund und dachte: Was gibt es denn so Wichtiges, dass du es zu so später Stunde noch mit Richard besprechen musst? Doch sie konnte den Gedanken nicht mehr in Worte fassen, da sie bereits in einen tiefen, erschöpften Schlaf glitt.
Nick nahm die Kerze, die neben ihrem Bett gestanden hatte, schirmte die Flamme mit der Hand ab und trug sie zum Kamin hinüber, sodass ihr Lichtschein die schlafende Polly nicht stören
konnte. Dann kehrte er zurück in den Salon, um Richards Vorschlag noch einmal genauer zu besprechen. »Wie kann ich sie denn darum bitten, sich mit einem Mann einzulassen, den sie offenbar verabscheut?«, fragte Nicholas mit gedämpfter Stimme, als er die Tür hinter sich schloss.
»Sie kennt ihn doch noch gar nicht, außer von dieser unglückseligen Begegnung, als er sie anscheinend mit dem Ausmaß seiner Macht verunsichert hat. Nick, du weißt doch so gut wie jeder andere, welche Formen sein Charme annehmen kann, wenn er erst einmal beschlossen hat, ihn spielen zu lassen. Wenn sie ihm also gefällt - und es scheint, als wäre dies der Fall -, wird er ihn ganz gezielt einsetzen. Sie wird ihre Abneigung gegen ihn vergessen, und wenn du sie dann um Hilfe bittest, wird sie sie dir nicht verweigern, da bin ich mir ganz sicher.« Er hielt einen Augenblick inne. »Und nur, weil sie Buckingham umgarnt, muss sich euer Verhältnis zueinander ja nicht sofort vollkommen verändern. Schließlich tut sie es ja in diesem Fall auf deine Bitte hin und zu einem bestimmten Zweck. Sie ist intelligent genug, um die Rolle, die sie bei der Lösung des Problems spielt, zu verstehen.« Richard zuckte gelassen die Achseln.
Nick trat schweigend ans Fenster und blickte hinaus in die Nacht. Noch vor zwei Monaten war er ebenso zynisch gewesen wie Richard und hätte die Situation mit denselben Augen betrachtet, wie sein Freund es nun tat. Warum sollte das Liebesspiel zwischen ihm und seiner Mätresse irgendetwas einbüßen, nur weil sie auch in anderen Betten schlief? Wenn er nun also ein solches Argument anführte, machte er sich damit doch nur lächerlich. In sämtlichen Gesellschaftsschichten setzten die Frauen ihren Körper für ihr persönliches Fortkommen ein - letztendlich war dies die einzige Währung, die sie besaßen. Kein kultivierter Mensch ließ sich noch von einer so altmodischen Vorstellung wie der Untreue verunsichern, oftmals nicht einmal dann, wenn das eigene Ehebett davon betroffen war.
Roger Palmer, Graf von Castlemaine, erlegte seiner Frau beispielweise keinerlei Zwänge auf. Im Grunde wurde ihr Zusammenleben sogar von einem höchst freundschaftlichen Verhältnis bestimmt. Nick fielen noch ein halbes Dutzend anderer Männer ein, die sich nur allzu gerne Horner aufsetzen ließen, während sie ihren eigenen amourösen Abenteuern nachgingen, und allein durch die höfliche Diskretion wurden sie
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