Lockruf Der Nacht
hier.« Meine Stimme klingt fest, obwohl in meinem Inneren die Angst tobt und ich am liebsten losheulen würde.
Joe lacht. Laut und dreckig klingt seine Lache, dass ich ihm die Augen auskratzen könnte.
»Hast du gehört? Wir sind hier nicht erwünscht, Mike«, sagt er zu dem Fettsack und grinst blöd. Bevor er sich mir zuwendet, schnellt schon seine Hand vor und reißt mir mit einem Ruck das Nachthemd vom Leib. Ohne es zu wollen, löst sich vor Schreck ein Schrei aus meiner Kehle. Ich wollte keine Schwäche, keine Angst zeigen.
Der Dicke glotzt mich an als hätte er noch nie eine nackte Frau gesehen. Aber erschreckenderweise sehe ich auch etwas anderes darin. Pure Geilheit. Mir schwant Böses. Schnell ziehe ich das Laken über meinen Körper und fauche Joe an. Mir fällt nichts ein, wie ich aus dieser Situation rauskommen könnte und die Wut überschattet meine Angst. »Du mieses Dreckschwein.«
Joe holt erneut aus und schlägt mir ins Gesicht. »Halt´s Maul, Fotze.«
»Ich rufe die Cops, dann gehst du zurück in den Knast.« Zumindest vermute ich das. Er hatte mir einmal erzählt, dass er wegen eines kleinen Deliktes gesessen hat.
»Ich rufe die Cops, Joe …«, äfft er mich nach und wieder saust seine Hand gegen meinen Kopf.
Verdammt, das hat wehgetan. Meine Wange glüht und mein Kopf ist kurz vor dem Explodieren, als Joe mich packt und mich unter seinem Gewicht begräbt. Ich strample und fuchtle wild mit meinen Händen herum. Schlage und trete ihn, aber viel scheine ich damit nicht zu bewirken.
»Los, halt sie fest.« Über mir erscheint der hässliche zerbeulte Kopf seines Freundes Mike.
Joe hält meine Hände über dem Kopf zusammen und der Fettsack legt seine Pranken um meinen Hals. Bevor ich schreien kann, hat er mir die Luft zugedreht und dann tauche ich in eine erlösende Dunkelheit ein.
12.
Der Wecker klingelt. Ich wache total erschlagen auf und sehe mich um. Ich bin allein. Kein Joe, kein Glatzkopf. Angst kriecht in mir hoch. Was hatte Mara gesagt? Dass diesen Narkoleptikern in ihren Halluzinationen alles real erscheint? Aber eins weiß ich, ich bin nicht nackt ins Bett gestiegen, das mach ich nämlich nie. Ein Tipp von meiner Großmutter: Gehe nie nackt ins Bett, man weiß nie, was die Nacht für Überraschungen für einen bereithält oder ob man noch einmal aufwacht. Und wenn nicht, sollte man nicht nackt im Bett gefunden werden.
Mein zerrissenes Nachthemd liegt fein säuberlich zusammengelegt auf meinem Bett und das Licht ist aus. Sehr seltsam, denn Joe ist kein ordentlicher Mensch. Es muss also jemand anderes gewesen sein. Vielleicht der Glatzkopf? Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass er seine fetten Hände um meinen Hals gelegt hat.
Ich schmeiße die Kaffeemaschine an und gehe ins Bad. Meine Lippe ist etwas geschwollen und es sieht aus, als würde ich ein ordentliches Veilchen am rechten Auge bekommen. Außerdem entdeckte ich weitere blaue Flecken an meinen Armen und Oberschenkeln. Und nicht nur das: Irgendwie fühle ich mich, als wäre ich vergewaltigt worden. Also geträumt habe ich das mit Sicherheit nicht. Was soll ich jetzt machen? Anzeige erstatten? Es gibt keinen Beweis, dass Joe mit seinen Freunden hier gewesen ist.
Ich habe heute zwei Termine in dem Apartment von Yven. Bei dem ersten, bin ich zehn Minuten zu spät dran. Der Kunde, ein gewisser Mr. Steiner, wartet schon und an seinem Gesichtsausdruck kann ich erkennen, dass er nicht gerade sehr erbaut ist über meine kleine Verspätung. Trotz mehrmaligen Entschuldigens scheint es unverzeihlich zu sein. Blöder Spießer , denke ich und lächle ihm bei dem Gedanken freundlich zu.
Der Fahrstuhl hält im sechzigsten Stock. Die Türen gleiten zur Seite und wir stehen direkt in dem schlossartigen Apartment. Ich fühle mich wie in einer anderen Welt.
Mein Kunde verzieht keine Miene, als wäre das hier nichts Besonderes.
Ich beginne mit der Führung. Dabei fallen mir ein paar Details auf, die mir beim ersten Mal, als Yven mir das Apartment gezeigt hat, entgangen sind. Wie zum Beispiel der Marmorfußboden in der Halle im ersten Stock, in dem die zwölf Götter des Olymps eingearbeitet sind. Ich erkenne darauf Dionysos, den Gott des Weines und des Vergnügens mit seinen Weintrauben, Aphrodite, die Göttin der Liebe, Poseidon, den gefürchteten Meeresgott mit seinem Dreizack und Zeus, den Gott der Götter mit dem Blitz in der Hand. Auch von den Wänden, aus den Ecken des Zweihundert-Quadratmeter-Saales schauen
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