Lockruf Der Nacht
verbracht als im übrigen Teil des Apartments.«
»Absolut verständlich«, bestätige ich und bin froh, dass er mich nicht schlafend erwischt hat. Schon bei dem bloßen Gedanken steigt mir die Hitze ins Gesicht.
Yven sieht mich von der Seite an. »Du siehst fiebrig aus.«
Ich befühle meine Stirn. Und tatsächlich fühlt sie sich heiß an. Inzwischen tut mir auch der Hals weh. Auf jeden Fall eine gute Ausrede, warum ich so müde und rot aussehe.
»Was hast du da gemacht?« Er zeigt auf mein Auge und meine dicke Lippe. »Ich … Ich bin in der Dusche ausgerutscht.«
Yven sieht mich besorgt mit seinen kaffeebraunen Augen an. »Du solltest nach Hause gehen und dich ins Bett legen.«
»Ich habe noch eine Besichtigung.«
»Kannst du die nicht verschieben?«
»Geschäft geht vor.«
Er lächelt und nimmt ein Gespräch auf seinem brummenden Handy an. Sein Ton ist freundlich und warm, als würde er mit einer Freundin sprechen. Hat Lilith nicht erzählt, dass er Junggeselle ist? Ich bin manchmal aber auch dumm. Sicherlich hat so ein reicher junger Mann wie Yven jede Menge Frauen um sich herum, die ihn anhimmeln.
Ich lasse ihn allein und gehe nach unten. Dabei schreite ich die breite Treppe hinunter wie eine Königin. Den Rücken durchgestreckt, den Kopf erhoben, stelle ich mir die wartenden Gäste vor, die mich bewundernd ansehen. Darunter natürlich der Mann meines Herzens mit den stechend blauen Augen.
»Leia?!«
»Ja.«
»Ich bin für ein paar Tage in der Stadt, wenn du Lust hast, würde ich dich gerne zum Essen einladen.«
Ich nicke. »Klar, gerne.« Natürlich werde ich dann verhindert sein, wenn er mich anruft. »Ruf mich an«, sage ich.
»Mach ich.«
»Ach, was ich fragen wollte. Das Fenster da oben …« Mit ausgestrecktem Finger zeige ich auf das bunte Fensterbild »Und diese griechischen Gottheiten des Olymps im Boden … Wer hat das designed?«
»Meine Mutter. Gefällt es dir?«
»Ja, sehr.«
»Sie war eine außergewöhnliche Frau«, sagt er mit traurigem Blick. »Ich muss jetzt los. Viel Glück bei der Besichtigung.«
»Danke.«
Yven scheint in Eile und auch mit seinen Gedanken wo ganz anders zu sein. Ich fahre mit ihm nach unten, um die nächste Kundin abzuholen. Es brennt mir auf der Zunge, mehr über seine Mutter zu erfahren. Hatte Lilith nicht gesagt, dass sie eines mysteriösen Todes gestorben sei?
Yven steht schräg hinter mir und ich merke, wie sein Blick sich in meinen Hinterkopf bohrt.
Noch zwanzig Stockwerke. Frag endlich !, sagt eine innere Stimme in mir.
Siebzehn, sechzehn, fünfzehn …
»Yven?«
»Ja.«
Ich kann es nicht. Stattdessen sage ich: »Der Mann, der heute das Apartment besichtigt hat, machte einen sehr interessierten Eindruck.« Ich sehe unsicher auf den Boden. »Bist du sicher, dass du es verkaufen willst? Irgendwie schade. Es hat so viel Mystik und Magie.«
Yven sieht mich nachdenklich an. Doch bevor er etwas sagen kann, gehen die Fahrstuhltüren auf und Ms. Schneider, meine nächste Kundin, steht vor uns. Ich stelle die beiden kurz vor und bin froh, dass ich ihren Namen im Kopf habe.
Schnellen Schrittes geht Yven durch die Lobby, ohne sich noch einmal umzudrehen. Bin ich zu persönlich geworden? Mein Kopf pocht. Ich glaube ich werde wirklich krank.
»Ich bin schon ganz gespannt. Die Fotos sahen auf jeden Fall sehr vielversprechend aus«, sagt Ms. Schneider.
»Ja, es ist ein Traum«, bemerke ich.
»Was soll es kosten?«
»Fünfundvierzig Millionen.«
Die Augen von Ms. Schneider weiten sich, als wir aus dem Fahrstuhl treten. Sie versucht auch gar nicht erst, ihre Begeisterung zu verbergen. Euphorisch erzählt sie mir, dass sie erst ein Haus in Los Angeles gekauft hat, aber da ihr Mann sehr viel in New York ist, wollten sie sich auch etwas Adäquates hier anschaffen.
Etwas Adäquates? Wie sieht wohl das Haus dieser Leute in Kalifornien aus? Ich habe kaum den Gedanken zu Ende gedacht, da hält sie mir ihr Handy hin und zeigt mir Fotos von einer Mansion unter strahlend blauem Himmel, die ebenfalls keinen Wunsch offen lassen sollte.
»Wir müssen noch ein paar Umbauten vornehmen, aber ansonsten ist es auch ganz nett.«
»Wirklich sehr schön«, bringe ich über die Lippen. Wie leicht es doch ist, Frauen zum Reden zu bringen, im Gegensatz zu den Männern, ihren stummen Pendants. Eigentlich kann es einen wundern, dass wir über den Stummfilm hinausgekommen sind.
Mit fliegenden Fingern tippt sie etwas in ihr BlackBerry ein. Das geht eine Weile so, dann sagt
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