Lockruf Der Nacht
Ohren und dann steht er vor mir. Er ist wie die anderen Gäste ebenfalls in Schwarz gekleidet und auch er hat keine Rose in der Hand. Wie schön und edel er aussieht, denke ich. Dieses Mal lächelt er nicht, sondern sieht mich nur traurig an.
Erst jetzt sehe ich die große, aufgebahrte Kiste mitten in meinem Wohnzimmer. Das soll wohl ein Scherz sein. Mein Loft ist doch kein Beerdigungsinstitut. Ich nähere mich zögernd dem Sarg und werfe einen Blick hinein. Er ist mit rotem Satin ausgeschlagen und leer. Bisher habe ich nur einen Menschen in einem Sarg liegen gesehen, und das war meine Mom. »Was soll das hier werden?«, frage ich ihn und ergreife seine ausgestreckte Hand.
»Komm her.« Er zieht mich an sich und hält mich fest an sich gedrückt. »Es tut mir so leid, aber sie haben mich überstimmt.« Er streichelt mir sanft über die Wange.
Ich verstehe nicht, was er meint und löse mich aus seinem Griff. Was ist mit seinen Augen? Sie sind nicht mehr so blau, sondern haben einen leichten Grünstich.
»Überstimmt? Für wen ist der Sarg?«
»Für dich, mein schöner Engel.«
»Aber das kann nicht sein. Ich bin nicht mehr krank. Das war nur eine harmlose Grippe.« Doch meine Worte überzeugen ihn nicht, denn sein Gesichtsausdruck ist unverändert.
Ich fange an zu weinen. Ich will noch nicht sterben. Ich bin doch noch so jung.
Ich drehe mich zu den anderen um, doch keiner scheint traurig zu sein. Ganz im Gegenteil, sie sind in vergnügter Stimmung und scheinen meinen Tod zu feiern. Ich kann es nicht fassen. Was habe ich nur für Freunde?
Er nimmt meinen Kopf in seine Hände und flüstert mir ins Ohr: »Du willst doch mit mir zusammen sein, Leia, oder nicht?«
Ich nicke, nichts wünsche ich mir mehr.
»Dann komm zu mir in die Dunkelheit, mein Engel.« Mit diesen Worten lässt er mich stehen und verlässt das Loft. Ich will ihm folgen, doch meine sogenannten Freunde stellen sich vor mich und drängen mich zurück in Richtung Sarg. Warum hilft er mir nicht?
14.
Ich werde von meinem eigenen Schluchzen wach und es dauert eine Weile, bis ich mich beruhigt habe. Von seinem eigenen Tod zu träumen, den auch noch alle anderen feiern, ist wirklich kein Vergnügen. Warum träume ich in letzter Zeit nur so einen schwermütigen Mist?
Obwohl ich von der Grippe noch etwas angeschlagen und wackelig auf den Beinen bin, entschließe ich mich heute aufzustehen.
Länger als notwendig stehe ich unter der Dusche und lasse mir das warme Wasser über den Kopf laufen. Als ich fertig bin, sehe ich nicht unbedingt frischer aus. Auch die Gelb-und Grüntöne um mein rechtes Auge herum lassen mich nicht besser aussehen. Da hilft nur eins: Concealer und eine Menge Make-up auf meinen bleichen Teint. Noch ein bisschen Bronzepuder, dann kann ich wieder unter die Leute gehen, ohne dass sie denken, ich wäre tatsächlich aus meinem Grab gestiegen.
Bei Summer&Summer geht es wie immer geschäftig zu. Die Sekretärin, die alte Hexe, begrüßt mich mit einem aufgesetzten Lächeln und meldet mich beim Chef an. Hatte sie sich nicht am meisten über meinen bevorstehenden Tod gefreut? Ich werfe ihr einen grimmigen Blick zu und verwünsche sie im Stillen. Der hässlichen Schachtel sind gutaussehende Frauen schon immer ein Dorn im Auge gewesen.
Mr. Summer ist nicht gerade sehr erbaut davon, dass das Projekt ´ Schloss im Himmel' für fünfundvierzig Millionen gestorben ist und will unbedingt wissen, warum der Kunde abgesprungen ist. Natürlich erzähle ich ihm nicht die Wahrheit, sondern tische ihm eine nostalgische Geschichte auf. Mutter-Sohn Blabla. Dabei erfahre ich, dass Mr. Steiner sowohl gestern als auch heute angerufen hat, um sein Angebot zu erhöhen. Er wollte das Apartment unbedingt haben. Mist.
Woran ich nicht mehr gedacht habe: Damit hat sich eine Teilhaberschaft in der Firma auch erledigt, wenn sie überhaupt mal zur Debatte stand, was ich bezweifle, und mein Lebensstandard bleibt da, wo er ist. Ich will mich nicht beklagen, ich habe ein schönes Loft, kann gelegentliche kleinere Kaufaktionen machen und hab Essen, Licht und warmes Wasser.
Mr. Summer schiebt mir zwei neue Projekte über den Tisch und ich verlasse stillschweigend sein Büro.
Neue Projekte bedeuten hinfahren, ansprechende Fotos machen und ins Netz auf meine persönliche Seite setzen. Auf dem Weg dorthin rufe ich Lilith an.
»Na, wieder on the road?«
»Gibt´s was Neues?«
»Ich habe mir ein schickes Kleid für die Party in den Hamptons gekauft.« Sie
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