Lockruf Der Nacht
normal, als er draußen ist. Ich fühle mich so schuldig, als hätte ich Joe eigenhändig vom Tower geschubst.
Im Fernsehen gibt es einen alten Spielfilm mit Richard Burton aus dem Jahre 1955. Ich liebe diese alten Schnulzen, die noch ohne nackte Körper und wilden Sex auskamen und nur mit romantischen Küssen die Leidenschaft und Liebe darstellten.
Bevor ich ins Bett gehe, starte ich einen Versuch, mit einer Lupe die Initialen auf dem Bild zu entschlüsseln. Es sind eindeutig zwei ineinander verschlungene Zeichen, die alles heißen könnten. Bei dem Ersten könnte es sich um ein N, M, U handeln und das zweite ist vielleicht ein E? Oder ein komisches B?
Es ist mitten in der Nacht, als es an der Tür klingelt. Völlig verschlafen gehe ich runter, darauf achtend, nicht die steilen Treppen runterzufallen.
Durch den Spion sehe ich Liliths Gesicht. »Ich brauche für ein paar Tage ein Bett«, poltert sie gleich los, kaum, dass ich die Tür geöffnet habe, und schiebt sich mit einem Koffer und einer Tasche, die sie hinter sich herzieht, an mir vorbei.
»Was ist passiert?«
»Ich halte die blöde Zicke nicht mehr aus.«
Lilith teilt sich ein Dreizimmer-Apartment in Soho. Jede Woche erzählt sie mir mindestens eine Story über ihre komische Roommate Sandy, ihre Macken, Launen und Angewohnheiten. Ich bin also nicht sonderlich überrascht, dass der Tag des Armageddon in Soho gekommen ist.
»Mein Heim ist auch dein Heim, Lilith. Bleib, solange du willst.«
»Du bist eine wahre Freundin.« Sie fällt mir um den Hals. Eine Geste, die ich nur ein oder zweimal bei ihr erlebt habe. Ansonsten ist sie eher die kühlere und berechnende Version einer Freundin.
Ich führe sie in das kleine Zimmer, das ich mal als Büro oder Atelier einrichten wollte und in dem eine alte ausziehbare Couch steht. »Mach es dir gemütlich. Du kannst dir das Zimmer vorübergehend gerne zurechtmachen, bis du was Neues gefunden hast.« Mein altes Bett scheint eingerostet zu sein und lässt sich nur mit einiger Kraftanstrengung und einem traurigen Quietschen auseinanderziehen. Noch einen hübschen Bettbezug darüber, fertig ist das neue Nachtlager für meine Freundin.
Lilith bedankt sich noch ein paar Mal bei mir und dann schlüpfe ich hellwach zurück in mein warmes Bett.
Der Mond scheint direkt auf mein Bett, wie ein großer Scheinwerfer, der auf der Bühne einen bestimmten Punkt beleuchtet. Mich. Ich habe Probleme beim Einschlafen, mal ist es zu warm, dann wieder zu kalt, dann liege ich im Licht und dann höre ich Geräusche im Wohnzimmer. Lilith scheint auch nicht schlafen zu können. Schwerfällig erhebe ich mich aus dem Bett und will sehen, ob sie noch etwas braucht, als ich meinen Namen höre.
»Leia!«
Mein Herz macht einen Aussetzer. So schön kann nur einer meinen Namen aussprechen. Er. Ich hole mir den Schlaf aus den Augen und überlege, ob ich jetzt wach bin oder träume. Unten am Fenster mache ich im Schatten die Silhouette eines Mannes aus. Er tritt einen Schritt vor in einen Lichtstreifen hinein, der von irgendwo durch die Fenster fällt und sieht mir zu, wie ich langsam die Treppen runtergehe.
Der Boden unter meinen Füßen ist kalt, als würde ich über Eis gehen, auch sonst ist es plötzlich ungewöhnlich kalt im Raum. Zitternd bleibe ich vor ihm stehen und versuche etwas an ihm zu entdecken, was mir bisher entgangen ist. Dieser Mann ist so schön, dass es kaum zu ertragen ist ihn anzusehen. Seine Augen leuchten wie zwei Aquamarine, die Schatzsteine der Meerjungfrauen.
Er nimmt mich in den Arm und wärmt mich mit seiner festen Umarmung. Er riecht gut. Irgendwie nach Natur. Wind, Regen und Blätter assoziiere ich mit seinem Duft. »Du bist da.« Ich fühle mich geborgen und kann einen Seufzer der Erleichterung, der seine Gegenwart mir entlockt, nicht unterdrücken.
Er zieht mich aufs Sofa und küsst mich, während seine Hände sanft über meinen Rücken fahren.
»Ich will jetzt endlich wissen, wer du bist«
Er lächelt, gibt mir aber keine Antwort auf meine Frage.
»Wo kann ich dich finden? Ich möchte bei dir sein.«
»Aber du bist doch gerade bei mir.«
»Ich meine außerhalb meiner Träume.«
Er küsst mich wieder. Seine Lippen auf meinen zu spüren versetzt meine Schmetterlinge in helle Aufregung. Es kribbelt so schön und ich genieße jede seiner Berührungen.
Auf einmal löst er sich von mir, hält mich ein wenig auf Abstand und sieht mich lange an. »Vertraust du mir?«
Aus irgendeinem irrsinnigen Grund tue
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