Lockruf Der Nacht
gibt ein aufreizendes Geräusch von sich. »Es ist knalleng, orange und wahnsinnig sexy.«
»Du wirst allen Männern wieder den Kopf verdrehen, schlimmes Mädchen.«
Sie lacht, weil es genau das ist, was sie damit bezweckt.
»Sag mal, hast du Mr. Graf mal wegen des Bildes gefragt?«
»Ja, selbstverständlich habe ich das.«
Ich bin mehr als überrascht. Normalerweise muss ich mindestens drei Mal nachfragen, wenn ich etwas von ihr möchte.
»Er kann sich nicht daran erinnern. Er sagte sogar, er hätte das Bild noch nie gesehen, geschweige denn es dort hingestellt. Ich hoffe nicht, dass ich irgendwas verkauft habe, was gar nicht zu kaufen war.«
»Er leidet vielleicht wirklich an Demenz. Sollte sich der wahre Besitzer melden, weißt du ja, wo es zu finden ist.«
Ich finde es schon eigenartig, dass keiner eine Erklärung findet, wie das Bild in die Galerie gekommen ist. Aber das soll nicht mein Problem sein. Es hat zu mir gefunden und das ist die Hauptsache. Ich werde es hüten, als wären es die Kronjuwelen der Queen.
Ich bin gerade mit den beiden Apartments durch und will nach Hause fahren, um dort weiterzuarbeiten, als Mara mich anruft und mich bittet, ihr bei der Einrichtung zu helfen. Da ich fast um die Ecke bei ihr bin, sage ich zu.
Maras Möbel sind eingetroffen und sie steht etwas ratlos vor all den schönen Dingen, die dem Apartment Leben einhauchen sollen.
»Mara, ich möchte mich noch mal bei dir für das Bild bedanken. Es ist … was soll ich sagen …«
»Ich hab es gerne getan. Und das Lustige ist, dass ich davon geträumt habe.«
»Was meinst du damit, du hast davon geträumt?«
»Ich habe geträumt, dass wir in einer Galerie standen, du dieses Bild angesehen hast und ich es dir gekauft habe, als Dankeschön. Es fiel mir erst im Nachhinein wieder ein. Wie das ja oft so ist. Wie ein Déjà vu irgendwie. Außerdem hast du mich ein wenig an mich selbst erinnert.«
»Inwiefern?«
»Vor meiner Heirat, vor langer Zeit also, stand ich vor einer Bronzeskulptur. Ein männlicher, schöner Engel mit einem Flügel, der sich schützend über eine Frau beugte. Es war eine brillante Arbeit eines unbekannten Künstlers. Jeden Morgen und jeden Abend ging ich an dem Schaufenster vorbei und sah sie mir ein paar Minuten an und wünschte mir, dass keiner sich für sie interessierte, bis ich das Geld zusammen hätte und sie selbst kaufen könne.« Mara geht in die Küche. Ich höre, wie sie den Kühlschrank auf und zu macht, Papier raschelt, Gläser klirren und dann kommt sie mit einer Flasche Champagner zurück.
Sie lässt den Korken knallen, schenkt ein und wir stoßen auf ihr neues, freies Leben an.
»Und? Hast du die Skulptur kaufen können?«, frage ich neugierig.
Sie lächelt. »Ich habe das Geld nie zusammenbekommen, weil ständig andere Ausgaben dazwischenkamen. Mein Vater starb und meine Mom konnte die Beerdigung nicht bezahlen, also nahm ich einen Kredit auf und zahlte daran eine ganze Weile ab. Die Skulptur rückte immer weiter in die Ferne.« Sie trinkt ihr Glas fast in einem Zuge aus. »Aber das Leben geht verschlungene Wege. Eines Tages kam ich nach Hause und fand ein Paket vor der Tür.«
Sie steht auf, kramt in einer der wenigen Kisten, die sie aus ihrer Ehe mitgenommen hat, und holt ein in Folie gewickeltes Objekt heraus. Behutsam packt sie es aus und stellt es auf den Tisch.
Da steht das Objekt der Begierde. Der Engel mit nur einem Flügel, der eine leblose Frau, zumindest sieht sie mit ihren geschlossenen Augen so aus, in seinen Armen hält.
»Sie ist wunderschön.« Ich streiche vorsichtig über den Flügel. Er erinnert mich ein wenig an den Mann in meinen Träumen. Nur dass er zwei Flügel hatte. «Und von wem kam das Paket?«
»Ich weiß es bis heute nicht. Kannst du das glauben? Ich bin runter in die Galerie gegangen und habe nachgefragt. Sie sagten mir, ein unbekannter, groß gewachsener Mann hätte sie gekauft. Bar bezahlt. Kein Name, keine Adresse. Nichts.«
»Das ist alles?« Ich kann es nicht fassen. Ich hatte auf ein Happy End gehofft.
»Wochenlang habe ich Ausschau nach einem solchen Mann gehalten. Auf der Straße, in Restaurants, bei der Arbeit. Immer wenn ich Schritte im Treppenhaus hörte, lief ich zur Tür und schaute durch den Spion in der Hoffnung, der Unbekannte würde sich ein Dankeschön von mir abholen.«
»Vielleicht war es dein Mann?«
»Er hatte keinen Sinn für das Schöne, Ästhetik, Kunst oder Romantik und außerdem lernte ich ihn erst viel später
Weitere Kostenlose Bücher