Lockruf Der Nacht
heute das erste Mal in den Genuss, mir das live anzusehen.
Von der Terrasse aus verfolge ich eine Weile das Spiel, bis ich schließlich in meinen Gedanken versinke. Warum ist er ausgerechnet gestern Nacht wieder zu mir gekommen und das, obwohl seine Frau nebenan in einem der Zimmer geschlafen hat?
Und dann Payton. Er scheint etwas gegen mich zu haben. Von Anfang an hatte ich den Eindruck, dass er mich nicht mochte. Ich erinnere mich noch an seinen Blick, als ich sagte, dass wir uns vielleicht mal im Traum getroffen haben. Wahrscheinlich hatte ich damit gar nicht so unrecht. Nur, was hat er gegen mich? Er ist sicherlich der irrigen Meinung, dass ich seinen Bruder verführt habe. Dabei war es genau umgekehrt. Aber da kommt das Paradies ins Spiel mit Adam und Eva in den Hauptrollen. Adam, der Unschuldige, Eva die hintertriebene Verführerin.
Vertrau mir. Das waren Mos Worte und dass ich keine Angst haben soll. Vor was oder vor wem? Vor Payton und den anderen? Ich habe in meinen Träumen viele von ihnen gesehen. Wer sind sie und was machen sie? Plötzlich bekomme ich eine Gänsehaut. Mo hat gestern gesagt: Auf Mutter. Alle haben sich erhoben und auf sie angestoßen. Auf Mutter!? Ich erinnere mich an das Glasfenster in dem Apartment, auf dem die Frau in Weiß vor dem Tor abgebildet war. Ist sie die Mutter aller, die Schöpferin? Ich beobachte die Leute um mich herum jetzt eingehender, achte auf verdächtige Zeichen. Dabei fällt mir eine Sache auf. Mindestens fünf von ihnen tragen eine Kette um den Hals und bei dreien zeichnet sich deutlich ein runder Anhänger unter dem Hemd ab. Bei Mo hatte ich auch dieses eigentümliche Amulett gesehen. Vielleicht gehören sie alle einer Art Geheimbund oder Bruderschaft an. Weder Lilith noch ich haben auf dieser Party mit irgendjemandem gesprochen außer den Gastgebern. Es ist als wären wir gar nicht da. Dann diese mysteriösen Fotos von gestern.
Ich laufe nach oben auf mein Zimmer und schnappe mir meine Kamera. Als Beweis werde ich noch heimlich ein paar Aufnahmen von hier oben machen. Doch sie gibt kein Lebenszeichen von sich. Der Akku ist plötzlich leer. Gestern war er noch voll und ich habe weder einen Ersatz noch ein Aufladegerät dabei. Ich fluche und schimpfe vor mich hin. Dann hole ich mein Handy aus dem Schrank und mache damit ein paar Fotos. Die Qualität ist wie erwartet nicht besonders gut, aber die Polospieler sind schon einmal darauf festgehalten. Ich zoome mir einen der Spieler heran und mir bleibt fast das Herz stehen. Payton sieht direkt in die Kamera. Er hat mich hier oben entdeckt. Plötzlich geht die Tür auf und eines der Dienstmädchen steht im Zimmer. Sie entschuldigt sich leise. »Tut mir leid, Miss, ich hatte geklopft, aber sie haben nicht geantwortet. Darf ich Ihr Zimmer machen?«
»Ja natürlich«, stottere ich verlegen. Ich fühle mich ertappt als hätte ich etwas Verbotenes getan. Rasch verstaue ich meine nicht mehr funktionierende Kamera im Schrank und verlasse das Zimmer.
Es ist ein herrlicher Tag, die Sonnenstrahlen sind wie Streicheleinheiten auf der Haut. Ich setze mich in einen Korbstuhl und hole meine Sonnenbrille heraus. Das Spiel scheint spannend zu sein, denn alle schauen gebannt hinter dem Ball her, der gerade auf ein Tor zufliegt. Das Einzige, was mir auffällt, sind die Pferde, deren nasses Fell in der Sonne glänzt und deren Schweife eingeflochten sind.
Christine - den Namen kann ich mir merken - die Frau von Mo, kommt auf die Terrasse. Sie sieht sylphidenhaft aus, ihre Haut ist blass und fast durchscheinend. Und was mir gestern nicht aufgefallen war: Sie sieht sehr viel älter als Mo aus. Sie grüßt niemanden, zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich in den Schatten, um dem Spiel zuzusehen. Erst jetzt erkenne ich auch Mo auf einem der Pferde.
Christine sitzt schräg vor mir, sodass ich sie mir in Ruhe ansehen kann. Wenn Frauen über andere urteilen, wird es meistens hässlich. Trotzdem versuche ich objektiv zu bleiben, sie mit den Augen eines Mannes zu sehen. Sie hat langes, aschblondes Haar und ein schönes Profil. Wahrscheinlich ist sie reich. Je länger ich sie betrachte, desto mehr finde ich, dass sie todunglücklich aussieht. Sie schirmt ihre Augen mit der Hand gegen die Sonne ab und entblößt dabei eine rote, dünne Narbe am Handgelenk. Hat sie etwa einen Selbstmordversuch hinter sich?
Ich sehe wieder zu den Reitern, als einer von ihnen mir zuwinkt. Es ist Yven. Ich hebe die Hand und winke verhalten zurück.
»Da bist
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